Wer entscheidet, ob ein Koma-Patient sterben darf oder nicht, wenn keine Patientenverfügung existiert. Die Ehefrau? Die Eltern? Genau so eine Frage beschäftigt Frankreich seit Jahren. Es geht um den 42-jährigen Vincent Lambert. Nun hat der Kassationshof in Paris entschieden, dass die Mediziner die Versorgung des Patienten mit sofortiger Wirkung absetzen können.
Damit hat das oberste französische Gericht unter ein langes und kompliziertes Gerichtsverfahren wohl den Schlussstrich gezogen. Instanzen wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte oder der UNO Ausschuss für Menschen mit Behinderung waren aufgerufen worden.
Das Familiendrama der Lamberts und der jahrelange Rechtsstreit haben die Schwächen der französischen Gesetzgebung in einem solchen Fall offengelegt. Passive Sterbehilfe ist seit 2005 erlaubt. Seit 2016 gibt es auch die Möglichkeit, unheilbar Kranken über Medikamente indirekt Sterbehilfe zu leisten. Aber es ist nicht klar, wer einen solchen Entscheid treffen kann, wenn sich die Familie nicht einig ist.
Gespaltene Familie
Vincent Lambert, 32-jähriger Psychiatriepfleger, wird 2008 bei einem Verkehrsunfall auf dem Weg zu Arbeit schwer verletzt. Seither ist er querschnittgelähmt, liegt im Wachkoma.
Nach über vier Jahren erfolgloser Behandlung sind die Ärzte in der Palliativklinik Reims überzeugt, dass sich der Zustand ihres Patienten nicht mehr verbessern wird. Sie stellen die künstliche Versorgung mit Nährstoffen ein und reduzieren die Flüssigkeit.
Zehn Tage später entdeckt dies einer der acht Geschwister Lamberts. Er alarmiert seine Eltern, die beim regionalen Verwaltungsgericht durchsetzen, dass die künstliche Versorgung wiederaufgenommen wird. Ein weiteres halbes Jahr später ist die Lage praktisch unverändert. Die Ärzte versammeln die Familie Lambert und schlagen erneut die Einstellung der Versorgung vor.
Die Familie ist tief gespalten. Ehefrau Rachel Lambert ist überzeugt, dass Vincent keine künstliche Verlängerung des Komas gewollt hätte. Sie und sechs Geschwister unterstützen den Vorschlag der Ärzte, die Behandlung abzusetzen. «Vincent, weil ich ihn liebe, will ich ihn gehen lassen», schreibt Rachel Lambert in einem Buch.
Auf der anderen Seite stehen die Mutter, ihr Ehemann sowie zwei Geschwister. Sie sind aus religiösen Gründen strikt für eine Fortsetzung der Therapie. Mutter Viviane spricht gar von Mord. Auch sie schreibt ein Buch mit dem Titel: «Für das Leben meines Sohns».
Mehrmals wollen die Ärzte die Therapie absetzen. Die Eltern erheben dagegen vor Gericht Einspruch. Sie setzen beim regionalen Verwaltungsgericht durch, dass neue medizinische Gutachter den Zustand ihres Sohnes untersuchen. Aber auch das neue Gutachten bestätigt den Befund der Ärzte in Reims. Es gebe keine Hoffnung, dass der Patient wieder zu Bewusstsein komme.