- Die Entscheidung über die Zukunft der renommierten Menschenrechtsorganisation Memorial ist gefallen: Das Oberste Gericht beschliesst deren Auflösung.
- Die Richter gaben der Agentur Interfax zufolge einem entsprechenden Antrag der Generalstaatsanwaltschaft wegen Verstosses gegen russische Gesetze statt.
- Memorial weist die Vorwürfe zurück. Die Organisation beklagt politische Verfolgung und will das Urteil an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte weiterziehen.
Die Ende der 1980er-Jahre gegründete Gesellschaft sprach von einer «politischen Entscheidung» ohne Rechtsgrundlage. Ziel sei die «Zerstörung einer Organisation, die sich mit der Geschichte politischer Repressionen und mit dem Schutz der Menschenrechte befasst».
Menschenrechtler beklagen zunehmende autoritäre Tendenzen und die Verfolgung Andersdenkender in Russland. Jan Ratschinski von der Memorial-Leitung kündigte an, gegen das Urteil vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorzugehen.
Begründung: Verstoss gegen umstrittenes Gesetz
Der Vertreter der russischen Generalstaatsanwaltschaft, Alexej Dschafjarow, sagte vor Gericht, dass Memorial mit seiner Arbeit die vor 30 Jahren aufgelöste Sowjetunion als «Terrorstaat» darstelle und Lügen über das Land verbreite. Die russische Justiz warf Memorial zudem wiederholte Verstösse gegen das Gesetz über ausländische Agenten vor.
Gemäss SRF-Russland-Korrespondentin Luzia Tschirky dauerte die Urteilsverkündung gerade mal 90 Sekunden.
Die Organisation ist mehrfach zu Geldstrafen verurteilt worden, weil sie sich selbst nicht als ausländischer Agent bezeichnet. Das Gesetz sieht vor, dass Empfänger von Zahlungen aus dem Ausland als «Agenten» bezeichnet werden können. Betroffen sind auch viele Journalisten.
Das Regelwerk steht international als politisches Instrument für willkürliche Entscheidungen gegen Andersdenkende in der Kritik. Beklagt wird auch, dass jene, die sich für die Rechte von Menschen einsetzen, als Spione stigmatisiert würden. Memorial fordert seit langem die Aufhebung des Gesetzes. Die Organisation setzt sich zum Ärger der russischen Führung etwa auch für politische Gefangene ein.
Unterstützung aus dem In- und Ausland
Viele Oppositionelle, darunter die Anhänger des inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny, wurden von Russlands Justiz als Extremisten eingestuft. Memorial sieht sich durch das Führen einer Liste zu politischen Gefangenen dem Vorwurf ausgesetzt, «das Mitwirken in terroristischen und extremistischen Organisationen» zu rechtfertigen. Das sei falsch – erfasst würden Menschen, die aus politischen Gründen verfolgt würden, sagte Memorial-Juristin Tatjana Gluschkowa.