Was tut eigentlich ein US-Vizepräsident? Nach offizieller Regelung ist der Umfang des Mandats des Inhabers des zweithöchsten Amtes in den Vereinigten Staaten überschaubar:
- Er ist Stellvertreter des amerikanischen Präsidenten und übernimmt das Oval Office im Falle des Todes, des Rücktritts oder der Amtsenthebung des Präsidenten während dessen Amtszeit.
- Ausserdem ist er Präsident des Senats und leitet die gemeinsame Sitzung des Kongresses, bei der die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl ausgezählt werden.
In Tat und Wahrheit geht die heutige Rolle des US-Vizepräsidenten aber wesentlich weiter. SRF News hat darüber mit USA-Korrespondent Beat Soltermann gesprochen.
- Gestiegene Bedeutung des Amtes
Die Bedeutung des Amtes hat in den letzten Jahren massiv zugenommen. Früher war der Vizepräsident lediglich ein dekoratives Anhängsel. Heute kommt der Präsident aber ohne Stellvertreter nicht mehr aus: Der Vizepräsident weibelt für die Anliegen des Präsidenten und berät diesen. Ausserdem setzt er sich dafür ein, dass Gesetze durchgebracht werden. In der Regel übernimmt er auch gewisse Dossiers. Al Gore, die Nummer 2 in der Regierung von Bill Clinton, fokussierte auf den Umweltschutz und die Verkleinerung der Bundesverwaltung. Der aktuelle Vizepräsident, Joe Biden, kümmert sich intensiv um den Ukrainekonflikt. Zudem war er – wenn auch erfolglos – sehr bemüht, im Streit um den Staatshaushalt zu vermitteln.
- Schattenposition mit Sicht auf Sprungbrett
Allzu sehr darf der Vizepräsident nicht aus dem Schatten des Präsidenten treten. Die Hauptthemen sind und bleiben Chefsache – zumindest gegen aussen. Dick Cheney war unter Präsident George W. Bush beispielsweise ein sehr einflussreicher Vizepräsident. Ob mit mehr oder weniger Einfluss: Das Amt ist nach wie vor ein gutes Sprungbrett für eine spätere Präsidentschaftskandidatur.
- Richtige Wahl so wichtig wie nie zuvor
Hinsichtlich der bevorstehenden Präsidentschaftswahl ist die Nomination des Vizepräsidenten von besonderer Bedeutung. Denn sowohl Donald Trump wie Hillary Clinton kann die richtige Wahl des Vizepräsidenten zu mehr Beliebtheit und einer breiteren Akzeptanz verhelfen. Trump käme ein konservativer, gestandener Politiker gelegen, der für die traditionellen Anliegen der Republikaner steht. So könnte Trump die Bedenken vieler Republikaner an seiner Kandidatur beseitigen. Clinton tut gut daran, auf eine Kandidatur aus dem linken Spektrum der Demokraten – etwa Elisabeth Warren – zu setzen, um die Anhänger von Bernie Sanders auf ihre Seite zu holen.
- Verhängnisvolle falsche Wahl
Die Kandidaten sollten auch gut auf Herz und Nieren getestet sein: Der Republikaner John McCain erhoffte sich 2008 mit der Nominierung von Sarah Palin den grossen Befreiungsschlag gegen Barack Obama. Schnell wurden jedoch deren Unkenntnisse in wirtschafts- und aussenpolitischen Fragen offenbart – der Schuss ging nach hinten los.