Präsident Franklin Delano Roosevelts Nummer 2, John Garner, soll gesagt haben, das Amt des Vizepräsidenten sei nicht viel mehr wert als ein Napf voll warmer Spucke. Das war vielleicht in den 1930ern so. Doch inzwischen haben sich die Zeiten geändert. Al Gore, Dick Cheney und Joe Biden spielten allesamt eine wichtige Rolle und nicht bloss die zweite Geige.
«Deshalb sagt heute fast niemand mehr Nein, wenn das Vizepräsidentenamt angeboten wird», sagt Professor Joel Goldstein von der St. Louis University in Missouri. Sein Spezialgebiet: Vizepräsidenten.
Ausser der Kandidat heisst Donald Trump: «Bei den Republikanern haben viele Top-Kandidaten wie Gouverneurin Susanna Martinez aus New Mexico oder John Kasich aus Ohio bereits erklärt, sie würden eine Anfrage Trumps ablehnen», sagt Goldstein.
Unterschiedliche Ausgangslage
Immer wieder genannt wird in den Medien Senator Jeff Sessions aus Alabama, der einzige Senator, der voll zu Trump steht. Auch der Name des früheren Chefs des Repräsentantenhauses, Newt Gingrich, kursiert. Dieser hat in den 1990er-Jahren die konservative Revolution angeführt.
Die Kandidatin der Demokraten, Hillary Clinton, hat gerade das gegenteilige Problem: Mit ihr wollen alle auf den Wahlzettel. Das wiederum bringt andere Probleme.
Clinton muss sich fragen, wie sie die Sanders-Fans auf ihre Seite zieht.
Die Selektion des demokratischen Vizes dürfe den Republikanern nicht in die Hände spielen, sagt Professor Goldstein: «Eine Reihe möglicher Kandidaten wie Senatorin Elisabeth Warren, Senator Sherrod Brown oder Cory Booker kommen aus Bundesstaaten mit republikanischen Gouverneuren.»
Diese würden einen Demokraten bis zur nächsten Senatswahl mit einem Republikaner ersetzen, so Goldstein: «Das wiederum würde den Versuch der Demokraten erschweren, den US-Senat zurückzuerobern.»
Zudem müsse sich Clinton fragen, wie sie die Sanders-Fans auf ihre Seite zieht. Ein entsprechender Vize sei eine gute Möglichkeit, glaubt Goldstein. Die weit links positionierte Senatorin Warren wäre dafür ideal.
Hohe Mathematik
Aber auch sonst müssen beide Kandidaten viele Faktoren berücksichtigen: Die Geografie, das Geschlecht, die persönliche Chemie. In diesem Jahr spielt bei beiden auch das Alter eine besondere Rolle. Trump ist am Wahltag 70 Jahre alt, Clinton nur ein Jahr jünger.
«Frühere Kandidaten haben in solchen Situationen bewusst einen jungen Vize als Gegensatz gewählt», weiss Goldstein. Andere achteten wegen des hohen Alters darauf, dass der Vize erst recht reif fürs Präsidentenamt wäre. Schliesslich ist der Vize nur einen Herzschlag von der Präsidentschaft entfernt.