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US-Wahlen 2020 Politologin: «Die Amerikaner haben Angst um ihr Land»

Morgen wird in den USA ein neuer Präsident gewählt. Und Donald Trump und Joe Biden betreiben bis zum Schluss Wahlkampf, obwohl viele ihre Stimme bereits per Briefwahl abgegeben haben. Politologin Cathryn Clüver Ashbrook über die Stimmung im Land in den letzten Stunden vor der Wahl.

Cathryn Clüver Ashbrook

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Cathryn Clüver Ashbrook ist Politikwissenschaftlerin an der Harvard Kennedy School in Cambridge in den USA.

SRF News: Was wollen die beiden Kandidaten mit diesen letzten Wahlkampfauftritten noch erreichen?

Cathryn Clüver Ashbrook: Es geht um die Motivierung der letzten Anhänger, die zu Hause bleiben würden, weil sie meinen, ihren Kandidaten seien schon sicher im Weissen Haus positioniert. Wir haben 2016 auch gelernt, dass es wirklich um die letzte Stimme geht. Donald Trump konnte damals die Wahlmännerstimmen nur auf der Basis von 78'000 Stimmen auf sich vereinigen. Umgekehrt sind in Pennsylvania, einem extrem umstrittenen Staat – auch in diesem Jahr – 200'000 Demokraten zu Hause geblieben und haben die Wahl ausgesessen.

Am Wochenende haben Trump-Anhänger in Texas mit ihren Autos einen Wahlkampfbus der Demokraten bedrängt. Was sagt der Vorfall über die Stimmung im Land aus?

Sie ist höchst volatil. Die Amerikaner haben Angst, nicht um sich, aber um das Land. Wir sehen die aufgepeitschte Stimmung auch in diesen Aufnahmen. Da wird genauso gearbeitet, wie der Präsident rhetorisch arbeitet. Dieser hat danach auch nicht die schrecklichen Bilder verurteilt, sondern seine Anhänger als Patrioten bezeichnet.

Für mich ist das ein Aufbäumen der jetzt deutlich schwächer abschneidenden Partei.

Da zeichnen sich schon deutlich Dinge ab, die in den nächsten Tagen noch viel, viel schlimmer werden könnten. Und das befürchten viele meiner Kollegen auch: dass es jetzt an verschiedenen Stellen wirklich brutal werden könnte. Insofern ist es richtig, dass der FBI sich solche Ausschreitungen anschaut. Trump-Anhänger haben auch in New Jersey eine Brücke komplett blockiert. Für mich ist das ein Aufbäumen der jetzt deutlich schwächer abschneidenden Partei. Denn Trump hat gesagt, er wolle diese Wahl für sich auf Teufel komm raus durchsetzen.

Trump an einer Rally
Legende: Kraftakt zum Wahlkampfende: Trump hat am Wochenende und heute insgesamt noch 14 Auftritte in verschiedenen Bundesstaaten geplant. In Umfragen liegt er hinter seinem demokratischen Herausforderer Joe Biden. Reuters

Nicht nur die Wahlkampfauftritte, auch Gerichtsverfahren geben zu reden. Warum?

Über 300 Gerichtsverfahren sind jetzt quasi schon im Kurs vor dem eigentlichen Wahltag. Republikaner klagen auf verschiedenen Ebenen. Im Bundesstaat Texas haben sie geklagt, eine Drive-Through-Wähleranlage sei illegal. Zwar wurden sie abgekanzelt, aber sie klagen sich jetzt auf die föderale Ebene.

Wir sehen hier eine Schacherei in den Gerichten, in denen es hauptsächlich darum geht, mehrheitlich demokratische Wahlstimmen zu unterdrücken.

In Wisconsin wurde bereits beschlossen, dass Wahlzettel, die am Tag vor der Wahl frankiert sind, nicht mehr gezählt werden dürfen, wenn sie nach dem Wahltag ankommen. Wir sehen hier eine Schacherei in den Gerichten, in denen es hauptsächlich darum geht, mehrheitlich demokratische Wahlstimmen zu unterdrücken. Demografisch, aber auch demoskopisch sehen wir, dass in dieser Wahl die meisten Vorwähler schon per Brief gewählt haben.

Trump warnte schon lange vor Unregelmässigkeiten. Können diese Gerichtsentscheide für Klarheit sorgen?

Nein. Der Präsident verkauft die verschiedenen Gerichtsverfahren unter dem Duktus des Law and Order. Aber das ist alles Teil einer abgekarteten Strategie, die er schon seit Monaten fährt. Er hat die Wahl an sich immer wieder diskreditiert. Das hat meiner Meinung nach etwas von einer schlechten Klassensprecher-Wahl. Er wird das Resultat nicht akzeptieren, wenn der Gewinner numerisch Joe Biden heisst. Deshalb entstehen diese brandgefährlichen Situationen vor den Gerichten. So viel werden sie nicht mehr leisten können, aber die Wahlgerichtsverfahren werden weiter angestrengt werden.

Das Gespräch führte Claudia Weber.

SRF 4 News, 2.11.2020, 7.15 Uhr ; 

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