Kamala Harris ist bislang nicht als grosse Freundin von offenen Pressekonferenzen aufgefallen. Oder von Interviews. Doch diese sind nötig. Nicht für sie. Sondern für die Bürgerinnen und Bürger.
Und so hätte es ein Gewinn werden können, dass sich Harris – mit ihrem Vizekandidaten Tim Walz an ihrer Seite – vor die Kameras von CNN bemühte. Nicht, weil es schlicht demokratischen Normen entspricht (und einer gewissen Erwartungshaltung der US-Medien). Normen (und Erwartungshaltungen) spielen, spätestens seitdem Donald Trump auf seiner goldenen Rolltreppe in die amerikanische Politik einfuhr, keine Rolle mehr.
Darum ging es Kamala Harris
Es ging für Harris auch nicht darum, sich den Amerikanerinnen und Amerikanern näher vorzustellen. Dazu war der Nominierungsparteitag in Chicago da, und zwar sowohl via traditioneller Medien als auch durch all die Social-Media-Influencerinnen und Content-Kreatoren, die an ebendiesem Parteitag oft besseren Zugang zu den Playern hatten als die alten Medien – ja, der Anglizismus ist Absicht.
Auch ging es für Harris nicht darum, politisches Kapital anzuhäufen, wie einige Kommentatoren in US-Medien argumentierten; das Argument lautete, dass, wenn die Wählerinnen und Wähler das politische Programm Harris’ besser kennen und aufgrund dessen Harris wählen, dieses politische Programm in der Folge stärker legitimiert und somit besser durchsetzbar wäre.
Nein, der gewichtigste in der heutigen (Medien-)Welt verbliebene Grund ist, wie dies Jason Willick in seiner Meinungskolumne in der «Washington Post» erklärt, dass die Kandidatin Kamala Harris aufgrund ihrer Antworten eingehegt werden kann, sollte sie im November tatsächlich gewinnen.
Harris' Antworten blieben allgemein
Und so wären klare Antworten willkommen gewesen. Doch die lieferte Harris kaum je in dem nur 27-minütigen Interview. Auf die erste Frage von Interviewerin Dana Bash «Was machen Sie am ersten Tag als Präsidentin?» antwortete Harris genauso allgemein wie auf die meisten folgenden. Wer Harris in den letzten Wochen begleitete, hörte dieselben Sätze wie an ihren Wahlveranstaltungen. Damit vergab sie einerseits gute Gelegenheiten, etwa um sich selbst ein klareres wirtschaftspolitisches Profil zu verleihen.
Gleichzeitig vermied sie auch jede Falle, die negative Schlagzeilen hätte hervorrufen können, und zeigte sich als dieselbe Person, die in den vergangenen knapp sechs Wochen von der Vizepräsidentschaftskandidatin zur Präsidentschaftskandidatin geworden ist. Vermutlich war genau das ihr Ziel.