Am Ende war vom mächtigsten Mann der Welt kaum mehr was zu sehen. Er machte noch ein-, zweimal die Republikaner verrückt, indem er etwa der Trump-Gegnerin Liz Cheney die zweithöchste Medaille verlieh, die ein Präsident verleihen kann. Biden wurde noch einmal grundsätzlich: «Der wichtigste Titel in den USA ist nicht ‹Präsident›. Es ist ‹Bürger›. Es ist das ‹Wir, das Volk›. Darauf gründet unsere ganze Nation.»
Zudem beschädigte er sein Vermächtnis wohl nachhaltig, indem er seinen Sohn Hunter vorsorglich und umfassend begnadigte. Etwas, wofür so manche Amerikanerin oder Amerikaner gegenüber Biden, dem Vater, Verständnis haben mag, weniger aber gegenüber Biden, dem Präsidenten.
Gescheiterte Demokraten
«Ich denke, es ist bereits klar, dass Bidens Präsidentschaft als Übergangszeit zwischen Donald Trump und Donald Trump angesehen werden wird», sagt Michael Kazan. Kazan ist Geschichtsprofessor an der Georgetown Universität in Washington, und er malt von Bidens Präsidentschaft ein illusionsloses Bild: «Sie wird als die Periode in die Geschichte eingehen, in der die Demokraten grosse Hoffnungen hatten, den rechtsautoritären Populismus von Trump zu überwinden, es ihnen aber nicht gelang.»
Der Afghanistan-Tolggen
Der Tauchgang von Bidens Präsidentschaft begann schon früh: Der chaotisch verlaufene Abzug aus Afghanistan im Sommer 2021 liess seine Beliebtheitswerte abstürzen und nie wieder richtig erholen. Die Inflation drückte. Seinen «Build Back Better»-Plan zum Wiederaufbau der maroden Infrastruktur der USA, der für Historiker Kazan in mancher Hinsicht eine Art Blaupause für eine sozialdemokratische USA hätte sein können, brachte er nicht wie gewünscht durch den Senat.
«Biden konnte seiner Politik nicht den Stempel aufdrücken, wie es frühere liberale Präsidenten getan haben, etwa Lyndon B. Johnson mit seiner ‹Great Society› oder Franklin D. Roosevelt mit seinem ‹New Deal›.» Geschichtsprofessor Kazan schüttelt den Kopf: «Biden wollte sicherlich Ähnliches tun. Seine Ambitionen waren gross. Aber er konnte sie nicht verwirklichen.»
Folgenschwere Entscheidung
Wann genau Joe Biden seine folgenschwerste Entscheidung traf – nämlich nochmals anzutreten – wissen wir nicht. Aber sie dürfte wohl nach den Zwischenwahlen 2022 gefallen sein, als die Demokraten sehr viel weniger deutlich verloren als prognostiziert. Die von vielen vorausgesagte und von den Demokraten befürchtete «rote Welle» blieb aus. Die Republikaner eroberten zwar das Repräsentantenhaus zurück, aber nur mit einer äusserst knappen Mehrheit. Der Senat blieb in der Hand der Demokraten. Und vor allem: Von Donald Trump unterstützte Kandidaten verloren Rennen, die mit breiter abgestützten Kandidierenden vermutlich zu gewinnen gewesen wären.
Uneinsichtiger Biden
Biden selbst, so machte er auch in einem raren Exklusivinterview mit «USA Today» erst letzte Woche nochmals klar, glaubt bis heute, dass er gegen Trump hätte gewinnen können. Seine Politik war ja in vielerlei Hinsicht auch erfolgreich: Der amerikanischen Wirtschaft geht es besser als jeder anderen der ganz grossen Volkswirtschaften. Arbeitslosigkeit gibt es praktisch keine. Zuletzt stiegen auch die Löhne.
Doch das Gefühl, dass es mit dem Land in die falsche Richtung gehe, brachte Biden einfach nicht aus den Köpfen der Amerikanerinnen und Amerikaner. «Man wird ihn wohl als jemanden ansehen, der in politischer Hinsicht viel erreicht hat, obwohl er im Kongress nur über knappe Mehrheiten verfügte, der aber als Politiker scheiterte», sagt Kazan.