In New York treffen die US-Präsidentschaftskandidaten erstmals direkt aufeinander. Hillary Clinton und Donald Trump liefern sich heute Abend ein Fernsehduell. Ausgestrahlt wird es vom Sender NBC. Dutzende andere Kanäle werden das Duell um 21Uhr Ortszeit übertragen.
SRF News: Es ist die erste Direktkonfrontation von Trump und Clinton. Wem trauen Sie in einer solchen Debatte mehr zu?
Stephan Bierling: Ich sehe leichte Vorteile bei Hillary Clinton. Sie ist sehr gut vorbereitet und hat sich mehrere Tage auf diese Debatte eingestellt. Im Vorwahlkampf war sie bereits direkt gegen ihren Herausforderer Bernie Sanders angetreten und ist für heute Abend daher besser vorbereitet.
Die Debatte wird zum grossen Spektakel. Aber hilft das den Zuschauern zu einer Meinungsbildung?
Absolut. Beide Kandidaten haben ja die höchsten Negativwerte in der Geschichte der amerikanischen Umfragen. Es geht für sie nun einfach darum, sich als vertrauenswürdig zu präsentieren. Das können sie bei keiner anderen Veranstaltung so gut machen wie bei dieser TV-Debatte. Acht von zehn Wählern wollen sich dazu einschalten. Mehr als 100 Millionen Menschen werden zuschauen. Das ist ein fast neuer Rekord. Insofern haben beide Kandidaten nun die Gelegenheit, die negativen Ansichten, die die Mehrheit der Amerikaner von ihnen hat, zu revidieren oder zumindest abzumildern.
Trump verlangt, dass während der Debatte auf einen direkten Faktencheck verzichtet wird. Ist das nicht bereits ein Eingeständnis von Schwäche?
Natürlich. Aber das wird Trump nicht durchsetzen können, denn es sind Profi-Journalisten am Werk. Sie werden sich nicht davon einschüchtern lassen, dass Trump keine Nachfragen zulässt. Er bereitet sich nicht wirklich auf die Debatte vor, etwa mit Rollenspielen, in denen jemand Clinton spielen muss. Er wird einfach Trump sein und versuchen, seine Widersacherin wie eine Dampfwalze zu überrollen und sie mit Angriffen aus der Fassung zu bringen. Es ist ja auch gar nicht möglich, dass er sich noch vorbereiten kann, denn er hat von den meisten Dingen ja gar keine Ahnung. Das kann man nicht in 24 Stunden nachlernen.
Könnte es sich die Fernsehgesellschaft NBC überhaupt leisten, auf die Forderung Trumps einzugehen und auf Faktenchecks zu verzichten?
Nein. Das wird sie auch nicht wirklich tun. Wobei es aber letztlich in dieser Debatte nicht um die Fakten geht, sondern um den Gesamteindruck, wie souverän jemand sich in diesem stressigen Format behaupten kann. Es geht also um Glaubwürdigkeit und Vertrauen, und weniger um Details der Geschichten. Da Clinton in der Debatte als Favoritin gesehen wird, geht es bei Trump vor allem darum, sich als einigermassen zurechnungsfähig zu erweisen, woran man kann bei seinen Wahlkampfäusserungen ja manchmal Zweifel haben kann.
Sind solche Fernsehduelle in Zeiten von Social Media noch notwendig, wo doch alle Kandidaten eigene Blogs haben und wie wild twittern?
Solche Duelle sind notwendig und wichtig. Man muss sich immer wieder vergegenwärtigen, wie gigantisch gross die Vereinigten Staaten sind. Viele Wähler haben überhaupt nicht die Möglichkeit, den Kandidaten direkt zu erleben oder sie leben in einem Bundesstaat, wo der Wahlkampf gar nicht so heftig tobt wie in den berüchtigten und alles entscheidenden Swing States. Bei der Debatte kann man sich schon mal als Nation rückversichern, wer denn in Washington für vier Jahre die Macht ausüben soll. In Zeiten von Twitter ist natürlich alles etwas anders. Der Kurznachrichtendienst ist das bevorzugte Medium Trumps. Dort kann er 140 Zeichen heraushauen, wenn er diese überhaupt hinkriegt. In der TV-Debatte nun muss er dagegen wirklich Rede und Antwort stehen. Dort ist – im Gegensatz zu den sozialen Medien – zumindest eingeschränkt eine Debatte möglich.
Welche Bedeutung werden die TV-Debatten in den letzten Wochen vor dem 8. November noch haben?
Sie werden eine grosse Bedeutung haben, weil es eine sehr knappe Wahl sein wird. Wie bei allen Wahlen in den letzten 20 Jahren wird kein Kandidat mit sechs, sieben oder acht Prozentpunkten Abstand gewinnen können. Den Ausschlag werden zwei oder drei Prozentpunkte geben. Selbst wenn es einem der Kandidaten in der TV-Debatte gelingt, nur ein paar hunderttausend Wähler auf seine Seite zu ziehen, mag das deshalb schon einen Unterschied machen. In Zeiten, wo alles entscheidend sein kann, kann sich niemand leisten, aus so einer Debatte schlecht herauszukommen. Es wird heute Abend wahrscheinlich keinen eindeutigen Sieger geben. Aber wenn Trump beispielsweise nachweisen könnte, dass er nicht so verrückt ist, wie er sich immer gibt, wird es einige republikanische Wähler rückversichern und sie werden ihm doch ihre Stimme geben. Wir können die Bedeutung der ersten TV-Debatte nicht hoch genug einschätzen: Hier sind die Zuschauerquoten am höchsten und sie setzt den Ton für die letzten sechs Wochen der US-Präsidentschaftsdebatten.
Das Gespräch führte Susanne Schmugge.