2012 hatte Gary Johnson schon einmal versucht, für die Libertarian Party ins Weisse Haus zu ziehen – und er scheiterte kläglich: Weniger als ein Prozent der Wählerstimmen konnte er damals auf sich vereinen. Nun, vier Jahre später, versucht er es nochmals. Und seine Werte sehen deutlich besser aus: In einzelnen Umfragen liegt er bei über 10 Prozent der Wählerstimmen, im von Real Clear Politics errechneten Durchschnitt bei 8 Prozent.
Johnson ist zudem politisch kein unbeschriebenes Blatt: Von 1995 bis 2003 war er Gouverneur von New Mexico – und das für die Republikaner in einem traditionell eher den Demokraten zugeneigten Bundesstaat. Könnte Johnson nun also zum Zünglein an der Waage werden, das entweder Donald Trump oder Hillary Clinton den Einzug ins Weisse Haus verbaut, weil er ihnen wichtige Wählerstimmen abjagen kann?
Wer zittern muss
Politologe Louis Perron schätzt, dass Johnson als früherer republikanischer Gouverneur «vor allem für rechte Wähler eine Alternative» ist und seine Kandidatur somit eher Trump schadet: «Nur in New Mexico, wo Johnson viele Leute kennen, könnte er auch demokratische Wähler für sich gewinnen.»
Anders schätzt dies Christian Hacke, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bonn, ein: Johnsons politische Haltung – «fiskalpolitisch konservativ, sozialpolitisch liberal und aussen- und millitärpolitisch neo-isolationistisch» – könne durchaus in beiden Lagern auf positives Echo stossen. «Für gemässigte Republikaner ist er eine ernstzunehmende Alternative zu Trump, und für manchen Demokraten auch zu Clinton, denn sie ist schlicht nicht beliebt.» Zu sehr gelte sie als «Inkarnation des Establishments» und vielen sei ihre Ausstrahlung «zu unterkühlt und zu künstlich».
Selbst enttäuschte Unterstützer von Bernie Sanders, so Hacke, könnten Johnson der demokratischen Präsidentschaftskandidatin vorziehen. Denn die diesjährige Wahl stehe ganz im Zeichen des Protests gegen die Verfehlungen der etablierten Politik. «Für Clinton würden die Sanders-Unterstützer nur zähneknirschend stimmen.»
Politologe Perron glaubt allerdings weniger an das Potenzial Johnsons bei den Sanders-Wählern: «Sie stehen deutlich links, was es wahrscheinlicher macht, dass sie die Grüne Kandidatin Jill Stein unterstützen, wenn sie Clinton nicht wählen wollen – oder erst gar nicht an die Urne gehen.» Stein tritt aber bisher nicht in allen Staaten zur Wahl an und erreicht in Umfragen nur rund vier Prozent.
Vor allem regional beliebt
Beide Polit-Experten sind sich aber darin einig, dass es derzeit in den Umfragen noch keine Hinweise darauf gibt, welchem Präsidentschaftskandidaten Johnson schliesslich Stimmen abjagen könnte. «Dort liegen Clinton und Trump etwa gleichweit auseinander, egal ob die Umfragen Johnson miteinbeziehen oder nicht», erklärt Perron.
Eine Einschätzung, ob Johnson also tatsächlich zur Gefahr für einen der Kandidaten der etablierten Parteien werden kann, ist laut Politikprofessor Hacke derzeit denn auch «hochspekulativ»: Einerseits müsse er dafür in der Wählergunst mehr als deutlich zulegen. Andererseits fehle es ihm noch an überregionaler Bekanntheit: «Dafür muss er es unbedingt in die nationalen TV-Debatten der Präsidentschaftskandidaten schaffen, die vor der Wahl abgehalten werden.» Bisher sei er vor allem regional bekannt und beliebt: In den Bundesstaaten Colorado, Utah und New Mexico.
Sich einen Platz in den TV-Debatten zu ergattern, ist jedoch nicht leicht: Hierzu muss ein Kandidat nämlich in mindestens fünf anerkannten nationalen Umfragen einen Wähleranteil von 15 Prozent erreichen – und das wenige Wochen vor der TV-Debatte. Noch fehlen Johnson dafür je nach Umfragen zwischen 5 und 7 Prozent.
Die erste TV-Debatte ist am 26. September geplant. Johnson selbst hat bereits angekündigt, dass eine Teilnahme sein erklärtes Ziel ist.