Der Oktober ist noch nicht einmal vorbei und man kann jetzt schon sagen, dass es für Donald Trump kein guter Monat war. Es kam heraus, dass der republikanische Präsidentschaftskandidat möglicherweise fast 20 Jahre lang keine Bundessteuern bezahlt hat. Und in einem Video prahlt Trump damit, Frauen sexuell belästigt zu haben.
SRF News: Dass Trumps Skandalvideo ausgerechnet im Oktober herauskommt, ist wohl kein Zufall?
Christian Lammert: Nein, das ist eine ganz klassische Oktoberüberraschung. Das sieht man daran, dass sich die Umfragewerte massiv verändert haben. Trump war in mehreren Umfragen fast gleichauf mit Hillary Clinton und liegt jetzt deutlich hinter ihr. Man muss auch den Zeitpunkt berücksichtigen, zu dem diese Informationen publik wurden. In vielen Einzelstaaten beginnt jetzt schon die Stimmabgabe, das sogenannte «Early Voting». Die Leute können schon vor dem 8. November wählen gehen.
In anderen Staaten läuft die Wählerregistrierung. Hier kann man die Leute noch mobilisieren. Das war perfektes Timing für die Demokraten. Auch wenn das Video von der Presse lanciert wurde – entweder stecken die Demokraten dahinter, oder sie hatten einfach Glück.
Ist das Video so schwerwiegend, dass Trump damit aus dem Rennen ist?
Momentan schaut es so aus. Wenn man sich die Umfragewerte nach Veröffentlichung dieses Videos ansieht, so hat Trump sowohl in den nationalen Umfragen wie auch in jenen der wichtigen «Swing States» enorm verloren. Er liegt zum Teil elf bis zwölf Prozentpunkte hinter Clinton. Das ist schon eine riesige Veränderung. Deshalb kann man auch von einer «October Surprise» sprechen. Ob das entscheidend ist für den Wahlkampf, darüber sind sich die Experten nicht einig.
Was für «October Surprises» gab es bereits bei früheren Wahlkämpfen?
- Der Begriff ist erstmals 1972 im Wahlkampf Richard Nixon gegen George McGovern verwendet worden. Das war zur Zeit des Vietnamkrieges. Damals hat Henry Kissinger aus der Nixon-Administration kurz vor der Wahl am 26. Oktober gesagt, ‹der Frieden ist zum Greifen nah› . Das war die Hoffnung vieler Amerikaner, entsprach aber nicht unbedingt den Fakten. Es hat aber dazu beigetragen, dass Nixon deutlich siegte.
- Manchmal war es wirklich gezielt lancierte Information, wie zum Beispiel 2000 im Wahlkampf George W. Bush gegen Al Gore. Da wurde festgestellt, dass Bush Mitte der 70er-Jahre wegen Trunkenheit inhaftiert worden war. Das brachte ihm kurz ein Umfragetief. Hinterher konnte sich Bush wieder erholen, und er ist trotzdem Präsident geworden.
- Vielleicht die sichtbarste «October Surprise» gab es 2008, bei Barack Obama gegen John McCain: die Wirtschafts- und Finanzkrise. Das war nicht etwas, was lanciert wurde. Aber es kam darauf an, wie die Kandidaten darauf reagierten. Die Obama-Kampagne reagierte viel besser als die von McCain. Und Obama lag zum ersten Mal in den Umfragen vor McCain.
Hillary Clinton ist ja auch kein unbeschriebenes Blatt. Wieso ist es Trumps Team nicht gelungen, eine Oktoberüberraschung auf sie anzusetzen?
Das ist wirklich erstaunlich. Mit den Veröffentlichungen von Wikileaks, den gelöschten E-Mails und den publizierten Reden, die sie an der Wall Street gehalten hat, gibt es eigentlich viele Ansatzpunkte, um auch so eine Oktoberüberraschung zu inszenieren. Aber zum einen ist die Trump-Kampagne nicht so professionell. Sie kennt die Strategien und auch das Timing nicht, wann man so etwas machen muss. So etwas verebbt, wenn man es zu spät versucht.
Zum anderen ist natürlich auch das Getöse der Trump-Kampagne so gross, dass es alles überdeckt, was bei der Clinton-Kampagne vielleicht schief läuft. Trump ist ein Elefant im Porzellanladen, das überstrahlt alles in diesem Wahlkampf.
Was erwarten Sie als Politologe von der letzten Phase im US-Wahlkampf?
Man kann erwarten, dass der Wahlkampf jetzt noch schmutziger wird. Das zeigt sich auch darin, wie Trump sich kurz vor der dritten Fernsehdebatte mit Hillary Clinton geäussert hat. Es geht nicht mehr um eine inhaltliche Auseinandersetzung. Da versucht man nur noch, seine Kernanhängerschaft zu mobilisieren und den anderen Kandidaten mit Schmutz zu bewerfen.
Zudem deutet sich bereits an, dass die Trump-Familie – also nicht nur Donald, sondern auch sein Umfeld – für die Zeit nach der Wahl einen Plan B entwickelt. Das weist darauf hin, dass man schon gar nicht mehr damit rechnet, erfolgreich zu sein. Es werden schon Kontakte geknüpft, um ein Mediennetzwerk aufzubauen. Daran sieht man, dass inzwischen sogar die Kampagnenleitung realisiert hat, dass man mit dem Wahlkampf und wie er geführt wird, nicht erfolgreich sein kann.
Das Gespräch führte Teresa Delgado.