Von der Sekretärin zur ersten Frau an der Spitze der weltgrössten Technologiefirma: Das ist ihre urtypische US-amerikanische Aufstiegsgeschichte, die Carly Fiorina gerne erzählt. Sie spielt die Karte der Polit-Aussenseiterin mit Wirtschaftserfahrung.
«Politik ist eine faktenfreie Zone. Die Leute reden einfach. In der Wirtschaft hingegen gibt es Zahlen und Resultate. Die kann ich vorweisen», sagte Fiorina kürzlich an einer Technologiemesse. Die Fakten sehen laut Fiorina folgendermassen aus: Unter ihrer Führerschaft wuchs der Umsatz von Hewlett-Packard um vierzig Prozent.
Glanzleistung oder Strategiefehler?
Die Firma sei grösser und rentabler geworden, sagt sie. Weniger gut tönt die Tatsache, dass Fiorina nach dem Platzen der Internetblase 30'000 Angestellte entliess. Sie sagt dazu: «Im Präsidentenamt muss man schwierige Entscheidungen in schwierigen Zeiten treffen können. Das lernt man nicht, indem man darüber liest.»
Im Silicon Valley wird Fiorinas Leistung ganz anders bewertet. Das Wachstum der Firma sei nur dem Kauf des Computerherstellers Compaq zuzuschreiben, den Fiorina gegen grossen Widerstand durchdrückte, schreiben die Technologie-Publikation Mashable und die lokale Zeitung «San Jose Mercury News».
Dieser Kauf sei ein strategischer Fehler gewesen. Denn die PC-Herstellung war schon damals ein Geschäft mit tiefen Margen. Fiorina habe als Chefin von Hewlett-Packard einen autoritären Führungsstil gepflegt und eine Kultur des Misstrauens verbreitet. Sie wurde nach sechs Jahren vom Verwaltungsrat entlassen.
Im Technologie-Zentrum der USA geniesse deshalb Fiorina wenig Sympathien, sagt Melinda Jackson, Politologieprofessorin an der San Jose State University: «Es wird für Carly Fiorina schwierig sein, glaubhaft zu machen, dass ihre Geschäftserfahrung hier oder ihre Verbindungen zum Silicon Valley vorteilhaft sind.»
Kritik am Nein zur Netzneutralität
Der politische Einfluss des Internet-Technologiesektors wächst stark an. Firmen wie Facebook und Google spenden mehr Geld und lobbyieren stärker für ihre Anliegen als früher. Fiorina stellt sich mit zwei ihrer Positionen diametral gegen die Interessen von Google, Apple, Facebook und Co.: Sie ist gegen die Netzneutralität. Das heisst, sie will nicht, dass alle einen gleich schnellen Zugang zum Internet haben.
Und sie unterstützt die Geheimdienste in ihrem Wunsch, Zugang zu Kundendaten zu erhalten. Letztere haben die Internetfirmen seit der Snowden-Affäre verschlüsselt. Auch damit hat sie im Silicon Valley keine neuen Freunde gewonnen.
Als mögliche Vizepräsidentin gehandelt
Fiorina profitiert davon, die einzige Frau im weiten republikanischen Feld zu sein. Und sie profitiere auch von der generellen Politmüdigkeit in den USA, sagt Politologin Jackson: «Das hilft ihr und anderen Aussenseiterkandidaten wie Donald Trump und Bernie Sanders auch; jedenfalls in dieser frühen Phase der Kampagne.»
Auch wenn die Wirtschaftsfrau Fiorina wenig Chancen hat, zur Präsidentschaftskandidatin nominiert zu werden: Sie könnte trotzdem im Wahlkampf eine wichtige Rolle spielen. Es wird darüber spekuliert, ob sie als Vizepräsidentin ins Rennen steigen könnte.