Alleine im August starben in den USA 38 Personen bei drei Massenschiessereien und 75 Menschen wurden verletzt. Alle sind sich einig: so darf es nicht weitergehen. Doch wenn es darum geht, konkrete Massnahmen gegen die hohe Zahl der Schusswaffentoten zu ergreifen, ist es mit der Einigkeit schnell vorbei. Dies liegt vor allem am grossen Einfluss der National Rifle Association (NRA) auf die Politik.
Ein Gefühl von Sicherheit
Seit den 70er Jahren hat es die NRA immer wieder verstanden, Verschärfungen bei den Waffengesetzen zu verhindern und bestehende Verbote zu lockern. Sie beruft sich dabei stets auf den zweiten Verfassungszusatz, in dem das Recht auf Waffenbesitz enthalten ist. «Dieses Recht darf in keiner Art und Weise eingeschränkt werden», sagt NRA-Mitglied Andre D’Allau aus Pinecrest, Florida.
Eine Waffe zu haben bedeutet für D’Allau Sicherheit: «Schon ein paar Mal musste ich eine Waffe auf jemanden richten, der mich bedroht hat. Abgedrückt habe ich aber nie. Die gezückte Waffe reichte, um die Angelegenheiten zu regeln.» Er fühle sich deshalb unwohl, wenn er unbewaffnet an einen Ort müsse, wo er die Gefahren nicht einschätzen könne.
Schulung statt Verbote
Er besitze viele Waffen, von historischen Gewehren aus der Bürgerkriegszeit bis zur halbautomatischen AR-15. Einige Stücke hat er Freunden abgekauft. «Das wäre nicht mehr so einfach, wenn neu sämtliche Waffenkäufer vorgängig überprüft werden müssten», beklagt NRA-Mitglied D’Allau. Deshalb ist er strikt gegen sogenannte Universal Background Checks, wie sie von den Demokraten im US-Kongress gefordert werden.
«Die Liberalen schreien immer nach neuen Gesetzen. Aber die machen nur den gesetzestreuen Bürgern das Leben schwer. Kriminelle hingegen halten sich sowieso nicht daran», argumentiert das langjährige NRA-Mitglied. «Wichtiger wäre, den Menschen beizubringen, wie sie mit einer Waffe umgehen sollen.» Ist er also für obligatorische Sicherheitskurse für Waffenbesitzer? «Ausbildung ist wichtig, aber niemals unter Zwang», findet D’Allau im Einklang mit der NRA.
Knappe Mehrheit für strengere Kontrollen
Nicht alle Waffenbesitzer in den USA befürworten die harte Haltung der Waffenlobby. 90 Prozent von ihnen haben zum Beispiel nichts einzuwenden gegen strengere Überprüfungen von Waffenkäufern. Zu ihnen gehört auch Ricardo Gimenez aus Miami. Der Sicherheitschef in einem Schiessstand im Broward County will seinen richtigen Namen aus Rücksicht auf seinen Arbeitgeber nicht nennen: «Seit ich täglich erlebe, wie fahrlässig und verantwortungslos einige Waffenbesitzer mit ihren Pistolen und Gewehren umgehen, befürworte ich strengere Waffengesetze.»
Mit ihrer kompromisslosen Haltung mache sich die NRA mitschuldig am Tod von vielen unschuldigen Menschen, findet Gimenez, der vor fünf Jahren aus der NRA ausgetreten ist. «Für mehr Sicherheit braucht es strengere Kontrollen und bessere Ausbildung. Nur so werden sich die Waffenbesitzer ihrer Verantwortung bewusst.» Eine knappe Mehrheit der US-Bürger und Bürgerinnen befürworten wie Gimenez strengere Waffengesetze.
Gelder für den Wahlkampf
Die National Rifle Association NRA hat derzeit 5.5 Millionen Mitglieder. Hauptgeldgeber ist aber die Rüstungsindustrie. Ein beachtlicher Teil des Budgets von über 400 Millionen US-Dollar wird verwendet für Wahlkampagnen konservativer Politiker, vor allem der Republikaner. 2016 unterstützte die NRA den Präsidentschaftswahlkampf von Donald Trump mit geschätzten 30 Millionen Dollar. Republikanische Senatoren wurden bei den letzten Zwischenwahlen mit drei bis fünf Millionen unterstützt.
Doch nicht immer sperrte sich die NRA in der Vergangenheit gegen Verschärfungen der US-Waffengesetze. 1967, als schwarze Politaktivisten der Black Panthers bewaffnet in den Strassen von San Francisco patrouillierten, verbot Kalifornien umgehend das Tragen von geladenen Waffen. Das entsprechende Gesetz wurde vom damaligen Gouverneur Ronald Reagan unterzeichnet und von der NRA ausdrücklich gelobt.
Der Mensch ist schuld
Gemäss der NRA sind nicht die Waffen das Problem, sondern die Menschen. Unermüdlich wiederholt die Waffenlobby den Satz «nicht die Waffe drückt den Abzug, sondern der Mensch». Gemeint sind einerseits psychisch Kranke, andererseits Minderheiten wie Immigranten und Afroamerikaner, denen eine höhere Neigung zu Gewalt zugeschrieben wird. Das zeigt sich auch im Gespräch mit NRA-Mitglied Andre D’Allau.
«Bestimmte Bevölkerungsgruppen in den USA leben eine Kultur, in der Probleme mit Gewalt gelöst werden. Aber darüber redet niemand», behauptet er. «Gewisse Minderheiten wollen sich einfach nicht integrieren in die Mehrheitsgesellschaft.» Meint er die Afroamerikaner? D’Allau ist die Frage unangenehm. «Das könnte sein», sagt er zögernd, «schauen Sie sich doch die Situation in der Stadt Chicago an.»
Die Wissenschaft braucht Zahlen
Chicago hat zwar in der Tat sowohl einen hohen schwarzen Bevölkerungsanteil wie auch eine hohe Rate an Morden, die mit Schusswaffen verübt werden. Aber wissenschaftlich konnte ein Zusammenhang zwischen Hautfarbe und Schusswaffen-Gewalt bisher nicht nachgewiesen werden. Erhärtet ist hingegen, dass mehr Schusswaffen zu mehr Gewalt mit Schusswaffen führen. Dies wird von der NRA jedoch rundweg abgestritten, mit dem Verweis auf fehlendes verlässliches Zahlenmaterial.
Tatsächlich fehlen in den USA gesicherte Daten. Die Wissenschaft muss sich in vielen Fällen auf Schätzungen und Umfragen abstützen. Das liegt aber unter anderem daran, dass es seit der Amtszeit von Ronald Reagan verboten ist, auf nationaler Ebene ein Schusswaffenregister zu führen. Zudem darf das staatliche Center for Disease Control and Prevention seit den 1990er Jahren nicht mehr systematisch Daten erheben und auswerten zu Todesfällen und Verletzungen durch Schusswaffen. Beide Verbote wurden von der NRA begrüsst.