«Der Chavismus hat eine gewaltige historische Leistung vollbracht», sagte Walter Suter vor drei Jahren im Gespräch mit dem «Tagesanzeiger». Statt eben diese Leistung anzuerkennen, würden westliche Medien Stimmung gegen die unliebsame sozialistische Führung machen – und unreflektiert Berichte von Menschenrechtlern wiedergeben, die auf der Seite der Opposition stünden.
Ein Beispiel für die vermeintlich verzerrte Darstellung der Zustände im damaligen Venezuela: Es gebe lange nicht so viele politische Gefangene, wie es die internationalen Medien darstellten.
Suter ist bekennender Anhänger von Chavez' Politik. Vor vier Jahren verfasste er einen Nachruf auf den soeben Verstorbenen, «unseren Bruder und Genossen»:
Hugo Chávez hinterlässt ein aussergewöhnliches Erbe, geprägt von restloser Aufopferung und Hingabe für die Rechtlosen und Ausgeschlossenen in seinem Lande und die Verbesserung von deren Los. (...) Chávez hat sein Volk geliebt; er hat ihm Würde, Respekt und Selbstachtung verliehen. Ein ganz Grosser unter den Grossen.
Mittlerweile führt Nicolas Maduro die Geschicke im südamerikanischen Land. Und Chavez’ langjähriger Aussenminister tut dies, glaubt man der internationalen Berichterstattung, mit eiserner Faust – und unter Missachtung rechtstaatlicher Prinzipien.
Unbestritten ist: Seit die Opposition bei den Parlamentswahlen von 2015 zwei Drittel der Mandate erhalten hat, hat sich die politische Lage verschärft. Und internationale Medien, viele westliche Regierungen und NGOs werfen Maduro vor, sich mit fragwürdigen Manövern an der Macht zu halten.
Machtdemonstration oder Wahlbetrug?
Im Frühsommer dieses Jahres herrschten gar bürgerkriegsähnliche Zustände im Land – 125 Menschen kamen bei Strassenschlachten ums Leben. Seither hat sich die Lage beruhigt. Gestern nun waren 20 Millionen Venezolaner aufgerufen, in 23 Gliedstaaten neue Gouverneure zu wählen.
Sieger ist – nach offiziellen Angaben – das Lager von Präsident Maduro. Es habe in 17 der 23 Bundesstaaten gewonnen, teilen die Behörden mit. Im Vorfeld gingen Beobachter davon aus, dass die Opposition einen Erdrutschsieg holen würde. Die Frage bleibt: Hat die Regierung die Wahlen manipuliert?
«Wasserdichtes» Wahlsystem
Im Gespräch mit SRF News weist Suter, der vier Jahre lang als Schweizer Botschafter in Caracas wirkte, solche Verdächtigungen zurück. Er hält Maduros Triumph für glaubwürdig: «Der Urnengang wurde durch dieselbe Wahlbehörde durchgeführt, wie die vorherigen in den letzten 18 Jahren auch.»
Das Wahlsystem werde etwa auch vom US-amerikanischen Carter Center als «wasserdicht» bezeichnet: «Ich habe das selber als Beteiligter an zwei Wahlbeobachtermissionen miterlebt, und seit ich in Rente bin sechs mal als Wahlbegleiter.»
Das venezolanische Oppositionsbündnis zweifelt das Ergebnis der Regionalwahl allerdings lautstark an. Die nationale Wahlbehörde habe die Bürgerrechte verletzt, erklärte Oppositionsführer Gerardo Blyde:
Weder Venezuela noch die Welt glaubt an das Märchen, das sie uns auftischen.
Unabhängige Wahlen oder nicht?
Gegenüber SRF News berichtet die Journalistin Sandra Weiss von Unregelmässigkeiten und Hindernissen beim Urnengang: Wahllokale seien von Oppositionsvierteln in Regierungshochburgen verlegt worden, wo bewaffnete Milizen die Wähler eingeschüchtert hätten; weiter seien viele Oppositionelle gar nicht erst zur Wahl zugelassen worden, auch habe es keine unabhängigen Wahlbeobachter gegeben:
Das offizielle Ergebnis ist den Nachwahlbefragungen diametral entgegengesetzt.
Der ehemalige Botschafter Suter stellt diesen Einschätzungen die Aussagen des lateinamerikanischen Wahlexpertenrates entgegen. Dort seien Exponenten aus allen lateinamerikanischen Ländern vertreten: «Im Vorfeld und auch am Wahltag haben sie (das Wahlprozedere) überprüft und festgehalten, dass nicht falsch gelaufen ist.»
Dass die Opposition, die die Parlamentswahlen 2015 noch klar gewonnen hatte, nun eine empfindliche Schlappe einstecken muss, ist für Suter kein Indiz für Manipulationen. Die gewaltsamen Proteste seien von der Opposition initiiert worden, und mit der Wahl der Verfassungsgebenden Versammlung sei wieder «Ruhe eingekehrt» im Land:
Die Wahl der Verfassungsgebenden Versammlung hat gezeigt, dass eine Mehrheit der Bevölkerung sich nicht einschüchtern lässt – trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten.
Viele Beobachter werfen der Regierung Maduro allerdings vor, die Demokratie mit eben dieser verfassungsgebenden Versammlung ausgehebelt zu haben.
Alles ganz anders?
Dieser Einschätzung schliesst sich auch Journalistin Weiss an. In der Bevölkerung werde Maduros vermeintlicher «Erdrutschsieg» nicht gefeiert. Im Gegenteil: «Die ersten Reaktionen, die man so hört, sind Ungläubigkeit, Enttäuschung und Frust.» Die Bevölkerung habe wohl jede Hoffnung verloren, dass die Regierung auf demokratischem Wege besiegt werden könne.
Suter schätzt die Situation gänzlich anders ein. Maduro arbeite nicht an einem diktatorischen Regime, sondern suche den Ausgleich: «Seit seinem Amtsantritt 2013 gab es immer wieder gewaltsame Proteste. In dieser Zeit hat Maduro mindestens zehnmal Angebote zum Dialog gemacht. Die wurden aber unter allen möglichen Vorwänden zurückgewiesen von der Opposition.»