Nach dem Zugunglück in Süditalien konzentrieren sich die Ermittlungen auf den technisch veralteten Streckenabschnitt. Der Ausbau auf zwei Gleise soll verschleppt worden sein, obwohl die Finanzierung stand. Zudem fehlt ein automatisches Kontrollsystem.
Zahl der Vermissten bleibt unklar
Beim Frontalzusammenstoss der beiden Regionalzüge nördlich von Bari kamen mindestens 23 Menschen ums Leben. Wie viele Menschen vermisst wurden, war ein Tag nach dem Unglück, unklar. In der Präfektur der Region war von vier Personen die Rede. Der Präsident der Region Apulien erklärte dagegen, es gebe keine Vermissten mehr.
Der Zivilschutz wiederum gab die Zahl der geborgenen Todesopfer mit 25 an. Zwei Menschen wurden demnach noch vermisst. Ausserdem gab es 50 Verletzte. Um verstümmelte Leichen identifizieren zu können, fragten Rotkreuz-Mitarbeiter Angehörige nach Narben, Tätowierungen und Kleidungsstücken.
Die Helfer hatten die gesamte Nacht auf Mittwoch nach möglichen weiteren Opfern oder Überlebenden in den zwei völlig verkeilten Wracks gesucht. «Wir kennen die Zahl der Passagiere nicht, weil es kein Flugzeug ist und wir keine Liste haben», sagte Staatsanwalt Francesco Giannella.
Offenbar keine Schweizer Opfer
Möglicherweise waren auch Ausländer unter den Toten, hiess es am Mittwoch. Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) hat keine Informationen über Schweizer Opfer.
Die Einsatzkräfte bargen Stunden nach dem Unglück die beiden Blackboxen der Züge. Sie sollten noch am Mittwoch geöffnet werden und bei der Aufklärung helfen. Die Staatsanwaltschaft in der Stadt Trani ermittelt wegen mehrfacher fahrlässiger Tötung gegen Unbekannt.
Die beiden Züge, die aus den Jahren 2005 und 2009 stammten, waren am Dienstag mit etwa 100 Kilometern pro Stunde unterwegs, als sie an einer Kurve zwischen den Orten Andria und Corato ungebremst zusammenprallten.
Kommunikation per Telefon
Die Nachrichtenagentur Ansa berichtete unter Berufung auf Ermittlerkreise, möglicherweise habe ein verspäteter Zug dafür gesorgt, dass der Streckenabschnitt fälschlicherweise freigegeben worden sei. «Das Problem ist nicht das Einzelgleis, das etwa bei der Hälfte der Strecken in Italien vorliegt, sondern die Technologie, die die Unfälle verhindern soll», sagte Bahn-Experte Giuseppe Sciutto von der Universität Genua.
«In diesem Abschnitt sind keine automatischen Systeme im Einsatz», sagte Chef-Ermittler Giovanni Meoli von der Eisenbahnpolizei dem «Corriere della Sera» zufolge. «Es ist immer noch das alte System der Fernsprechnachrichten.» Das heisst, die Bahnhofvorsteher informieren sich gegenseitig per Telefon, wenn die Strecke frei ist.
Streckenausbau verschleppt?
«Diese Bahnstrecke ist schon zur Hälfte mit automatischen Kontrollsystemen ausgestattet, aber leider nicht der Teil, in dem das Unglück passiert ist», sagte Massimo Nitti, Chef der privaten Betreibergesellschaft Ferrotramviaria.
Seiner Ansicht nach sind die Behörden Schuld, dass der seit etwa zehn Jahren geplante Ausbau der Strecke auf zwei Gleise, der auch von der EU finanziert werden sollte, noch nicht passiert sei: «Wir haben das Problem, das alle Italiener kennen: Die Entscheidungsprozesse in den Behörden dauern 60 bis 80 Prozent länger als in jeder anderen Nation Europas», sagte er.
Verkehrsminister Graziano Delrio kündigte derweil an, 1,8 Milliarden Euro in den Ausbau regionaler Netze zu stecken. Der Turiner Zeitung «La Stampa» zufolge wurden von der EU zur Verfügung gestellte Mittel in Höhe von 150 Millionen Euro für den Haushalt 2007 bis 2013 zum Bau zweiter Gleise grösstenteils nicht genutzt.