- Ein in Südengland lebensbedrohlich erkranktes Paar ist durch den Kampfstoff Nowitschok vergiftet worden. Das gab Scotland Yard am Mittwochabend in London bekannt.
- Es lägen allerdings keine Hinweise darauf vor, dass die beiden gezielt ins Visier genommen worden seien, erklärte der Leiter der britischen Anti-Terror-Behörde.
- Der Fall erinnert an den Giftanschlag auf den ehemaligen russischen Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter Julia im vergangenen März.
- Die Menschen in der Region sind verunsichert.
- Russland reagiert besorgt auf den neuen Vergiftungsfall in Grossbritannien.
Der neue Vorfall fand in Amesbury nahe der Stadt Salisbury statt, wo im März der frühere russische Spion Sergej Skripal und dessen Tochter vergiftet worden waren. Bei den Opfern handelt es sich nach Polizeiangaben um einen 45-Jährigen und eine 44-Jährige aus der Region.
Inzwischen liegt das Paar in kritischem Zustand in einer Klinik im englischen Salisbury. Erwartungsgemäss seien hundert Terrorexperten in die Ermittlungen einbezogen worden, teilte Scotland Yard mit. Die Polizei in der südwestlichen Grafschaft Wiltshire sprach von einem «grösseren Vorfall».
Forschungslabor für Chemiewaffen eingeschaltet
Nach dem Vorfall wurden einige Bereiche in Salisbury und Amesbury – rund 13 Kilometer weiter nördlich – vorsichtshalber abgesperrt. Die Gesundheitsbehörde ging nicht von einer «bedeutenden Gesundheitsgefährdung» für die Öffentlichkeit aus.
«Das ist eine sehr beunruhigende Nachricht. Natürlich löst sie grosse Sorge aus», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Bislang habe man in Moskau keine Informationen bekommen, dass in dem neuen Fall der Kampfstoff Nowitschok oder eine andere Substanz eingesetzt wurde.
Kritischer Zustand nach Kirchbesuch
Das Paar soll unter anderem eine Familienveranstaltung in einer Kirche besucht haben, bevor es am Samstagabend bewusstlos in seinem Wohnhaus entdeckt wurde.
Die Beamten seien zunächst davon ausgegangen, dass die beiden möglicherweise verunreinigtes Heroin oder Crack-Kokain eingenommen haben könnten und sich daher in kritischem Zustand befanden.
Bevölkerung steht unter Schock
Für Verunsicherung sorgt vor allem die ungeklärte Frage, wie und wo die neuerliche Kontamination geschah. Die Ermittler prüfen einem Bericht zufolge, ob das im Fall Skripal verwendete Behältnis für das Nervengift ungewollt auch die nun erkrankten Briten in Lebensgefahr gebracht haben könnte. Dieser Behälter sei bis heute nicht gefunden worden, sagte eine ranghohe Regierungsquelle. Denkbar sei deshalb, dass das Paar mit demselben Gegenstand in Berührung kam.
Das Forschungslabor für Chemiewaffen im nahe gelegenen Porton Down war mit in die Untersuchungen einbezogen worden. Dort war auch das Nervengift Nowitschok im Fall Skripal identifiziert worden. Unabhängige Untersuchungen der Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen (OPCW) bestätigten damals das Ergebnis.
Krisenstab tagt am Donnerstag
Der Sprecher von Premierministerin Theresa May sagte, dass sich der Krisenstab der Regierung getroffen habe, um über den neuen Vorfall zu beraten.
Die Arbeitstheorie ist derzeit, dass diese Einwirkung zufällig geschah und nicht ein zweiter Angriff ist nach dem Vorbild jenes auf Sergej und Julia Skripal in Salisbury Anfang dieses Jahres.
Grossbritanniens Innenminister Sajid Javid will am Donnerstag eine Sitzung des Krisenstabs leiten. «Die Arbeitstheorie ist derzeit, dass diese Einwirkung zufällig geschah und nicht ein zweiter Angriff ist nach dem Vorbild jenes auf Sergej und Julia Skripal in Salisbury Anfang dieses Jahres», sagte Javid.
Vier Monate nach Anschlag auf Skripal
Im vergangenen März waren Teile der Innenstadt von Salisbury abgeriegelt worden, nachdem der ehemalige russische Doppelagent Sergej Skripal und seine Tochter Julia dort mit dem Kampfstoff Nowitschok vergiftet worden waren. Sie sassen bewusstlos auf einer Parkbank.
London machte Moskau für die Tat verantwortlich; es kam zu einem diplomatischen Schlagabtausch und Ausweisungen zahlreicher Diplomaten. Die Skripals leben inzwischen an einem unbekannten Ort.