Es sei eine Frage der Zeit gewesen, bis etwas passiere, sagen viele Bewohnerinnen und Bewohner des Trentino. Der tödliche Angriff auf den jungen Jogger Andrea Papi im April 2023 hat vieles verändert und vor allem viel Wut ausgelöst – bis heute. «Ich hatte schon vor dem Unglück von Andrea Angst – und jetzt noch mehr», erzählt eine junge Frau aus der Ortschaft Malè. Und ein älterer Herr ergänzt: «Für mich gibt es nur eine Möglichkeit, eine einzige, eine drastische – leider. Man muss alle Bären töten.»
Seit dem tödlichen Angriff kommt das Trentino nicht zur Ruhe. Auch diesen Sommer kam es zu folgenschweren Begegnungen zwischen Menschen und Bären. Unter anderem wurde ein Tourist durch ein Muttertier verletzt, welches mit seinen Jungen unterwegs war. Die Bärin wurde daraufhin erschossen.
Rund 100 Bären im Trentino
Vor 25 Jahren wurde das Projekt «Live Ursus» – die Wiederansiedlung von Bären im Trentino gestartet. Damals ging man von einer Anzahl zwischen 40 und 60 Bären im Gebiet aus. Heute zählt die Region mehr als 100 Tiere.
In solchen Fällen würde ich sagen, widerwillig zwar, aber dann muss man den Bären töten.
Die Forstpolizei der autonomen Provinz Trient ist für das Bärenmanagement und die Sicherheit zuständig. Derzeit werden zwei Bären mit einem Funk-Halsband kontrolliert, ein dritter soll demnächst eines bekommen. «Nachts wissen wir so, wo er sich nähert, wir versuchen, ihm zuvorzukommen, ihn abzufangen und zu vergrämen, sagt Mauro Baggia, einer der Forstpolizisten.
Das Gebiet «bärensicher» machen
Das Territorium der Bären erstreckt sich bis runter ins Tal zu den Häusern. Dort hat man aufgerüstet; Abfall oder Bienenstöcke wurden «bärensicher» gemacht. Doch wenn es zu Angriffen komme, dann komme man um weitere Massnahmen nicht herum, sagt Alessandro Brugnoli, Leiter der Wildtierbetreuung der Provinz: «In solchen Fällen würde ich sagen, widerwillig zwar, aber dann muss man den Bären töten. Es gab in diesem Jahr zwei Fälle, aber es muss einer der letzten Schritte in einer Reihe von anderen Massnahmen sein.»
Nicht alle gegen Bärenpräsenz
Gegen Abschüsse und das Einfangen von Problembären wehren sich verschiedene Tierorganisationen – auch Ornella Dorigatti von der internationalen Tierschutzorganisation Bearsandothers. Sie lebt im Trentino und kämpft hier für den Verbleib der Bären: «Der Bär ist ein schüchternes, zurückhaltendes Tier, das, wenn es nicht gestört wird, auch nicht angreift. Er ist kein Monster oder Menschenfresser. Auch in anderen Ländern ist ein Zusammenleben mit Bären möglich.» Im Trentino sei es zu einem Sport geworden, die Bären zu suchen und für ein spektakuläres Bild zu stören. Das müsse aufhören.
Gesetz für Abschüsse
Im März 2024 hat der Trentiner Landtag ein Gesetz erlassen, das es ermöglicht, bis zu acht Bären pro Jahr zu schiessen. Daraufhin wurde der Präsident der Provinz von militanten Tierschützern mit dem Tod bedroht. Für die einen geht dieses Gesetz zu weit, den anderen reicht es nicht.
Keine leichte Aufgabe für das Trentino, einen Mittelweg zu finden zwischen dem Schutzbedürfnis der Menschen und dem freien Leben der Raubtiere.