Nur neun Tage nach dem Sturz des Assad-Regimes im vergangenen Dezember liess sich Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu per Helikopter weit in syrisches Staatsgebiet fliegen, auf den höchsten Gipfel der Golanhöhen, den Hermon. Er sei von grosser Bedeutung für die Sicherheit Israels, sagte Netanjahu damals.
Im Moment stellt die neue Regierung Syriens keine Gefahr für Israel dar.
Die israelische Armee nahm die gesamte demilitarisierte Pufferzone im Golan ein, errichtete Checkpoints und stationierte Bodentruppen. Die Luftwaffe flog Hunderte Angriffe in ganz Syrien und vernichtete grosse Teile des syrischen Waffenarsenals. Im Februar dann sagte Netanjahu, man werde südlich der Hauptstadt Damaskus keine syrischen Truppen tolerieren. Syriens Süden müsse demilitarisiert werden.
Angriffe auf Israel verhindern
Israel wolle sicherstellen, dass es von syrischem Territorium aus nicht angegriffen werden könne, sagt Joost Hiltermann, Nahost-Direktor der Denkfabrik International Crisis Group. «Im Moment stellt die neue Regierung Syriens keine Gefahr für Israel dar, weil Israel dafür gesorgt hat, dass Syrien militärisch dazu gar nicht in der Lage ist, und auch, weil die neue Regierung ihre Macht noch nicht gefestigt hat.»
Syrien habe beim UNO-Generalsekretär und dem UNO-Sicherheitsrat gegen die israelische Invasion und die Verletzung der syrischen Souveränität Protest eingelegt, sagt Hiltermann. Er denke aber nicht, dass die Aktivitäten Israels derzeit die Hauptsorge der Regierung in Damaskus seien. Ihr Fokus liege aktuell darin, ihre Herrschaft über Syrien zu stabilisieren.
Fragiles Gleichgewicht in Syrien
Dass dies der Interimsregierung von Achmed al-Scharaa gelingt, ist keineswegs sicher. Nach fast 14 Jahren Bürgerkrieg ist das ethnisch-religiöse Gleichgewicht im Land sehr fragil. Ein Umstand, den Israel sich zunutze machen könnte, etwa indem es gezielt einzelne syrische Minderheiten unterstütze, sagt Hiltermann.
Sollte Israel Syrien mit militärischen Mitteln schwächen, könnten nicht-staatliche, israelfeindliche Akteure davon profitieren.
«Wenn du deinen Feind schwächen willst, spalte ihn. Teile und herrsche. Das ist eine alte israelische Strategie, und nicht nur eine israelische.» Ein solches Vorgehen sehe man auch sonst überall auf der Welt. «Du stellst sicher, dass dein Feind keinen starken Zentralstaat aufbauen kann, der eine echte Bedrohung für dich darstellen könnte.»
Israel könnte Bogen überspannen
Doch es bestehe das Risiko, dass Israel den Bogen überspanne, so der Nahostexperte. «Wenn Israel seinen Willen militärisch durchsetzen will und damit den syrischen Staat absichtlich schwächt, könnten nicht-staatliche Akteure davon profitieren, die wiederum von Staaten unterstützt werden, die Israel feindlich gesinnt sind.»
Geschehen sei dies so etwa mit der Hisbollah im Libanon, die von Iran unterstützt wird. Israel hat mehrere Kriege gegen die Hisbollah geführt. Viele Jahre stellte die schiitische Miliz eine grosse Bedrohung für Israel dar.
Hiltermann beurteilt die israelische Strategie gegenüber dem neuen Syrien kritisch. Wie in vielen anderen Ländern fehle in Israel eine weise politische Führung, die auf die langfristige Sicherheit Israels setzt. Eine solche Führung würde versuchen, das Nachbarland Syrien mittels Diplomatie zu stabilisieren und sicherzustellen, dass es ihr freundlich statt feindlich gesinnt ist, so Hiltermann.