Nach dem Sturz von Diktator Assad in Syrien verändern sich die Machtverhältnisse im Nahen Osten. Israel nutzt die Umbruchphase und greift Militäranlagen in Syrien an und israelische Truppen dringen auf syrisches Gebiet vor. Nahost-Forscher Jan Busse ordnet ein.
SRF News: Jan, Busse, wie gross ist das Ausmass der israelischen Bombardements in Syrien?
Jan Busse: Seit Sonntag wurden bisher rund 500 Angriffe von Israel geflogen oder durchgeführt und rund 1800 Geschosse abgefeuert, so heisst es in israelischen Medien. Das ist sehr umfangreich. Israel konzentriert sich bisher ausschliesslich auf syrische Militäranlagen, beziehungsweise Chemiewaffendepots oder entsprechende Produktionsstätten. Letzten Endes steckt das Kalkül dahinter, dass Israel das momentane Machtvakuum in Syrien nutzen möchte.
Hinter den Angriffen auf die Luftabwehr steckt aber ein ganz anderes Kalkül.
Gemäss der israelischen Armee sind rund 80 Prozent der militärischen Kapazitäten Assads zerstört worden. Ist das plausibel?
Das ist durchaus plausibel. Wobei der Schwerpunkt vor allem auf den strategisch wichtigen Mitteln, die Assads Armee zur Verfügung hatte, liegt. Dabei geht es um Langstreckenraketen und vor allem um die Luftabwehrkapazitäten. Israel will einerseits verhindern, dass solche Waffen in die aus seiner Sicht falschen Hände geraten und womöglich gegen Israel verwendet werden.
Hinter den Angriffen auf die Luftabwehr steckt aber ein ganz anderes Kalkül: Es geht darum, dass Israel zumindest potenziell den Raum freihätte, um über syrischen Luftraum Richtung Iran zu fliegen, um dort die Atomanlagen anzugreifen. Das wird zumindest in Israel diskutiert.
Das ist mehr als eine blosse Hypothese?
Es gibt Berichte, dass aufseiten der israelischen Streitkräfte Forderungen laut werden, diese als einmalig erachtete Gelegenheit, den Luftraum ungefährdet überfliegen zu können, zu nutzen. Ob das dann auch passiert, ist eine ganz andere Frage und hängt auch davon ab, ob die Fähigkeiten dafür überhaupt ausreichen. Gerade wenn es um bunkerbrechende Bomben geht, die es für solche Angriffe bräuchte: Dort heisst es, dass Israel nicht über die ausreichende Kategorie verfügt. Dafür bräuchten sie US-amerikanische Bomben.
Es stellt sich die Frage, ob das israelische Vorgehen die Beziehung zu einem im Entstehen begriffenen Regime in Syrien belasten könnte.
Nun sind israelische Soldaten auf syrisches Staatsgebiet vorgedrungen. Wie beurteilen Sie das?
Die Golanhöhen befinden sich seit 1967 unter israelischer Besatzung, beziehungsweise wurden Anfang der 1980er-Jahre annektiert. Das war völkerrechtlich schon syrisches Territorium und es gibt eine Pufferzone, die durch ein Entflechtungsabkommen nach dem Jom-Kippur-Krieg zwischen Israel und Syrien entstanden ist.
Diese Pufferzone ist eigentlich demilitarisiert und wird von der UNO beobachtet. Genau in diese Zone und auch ein bisschen darüber hinaus ist Israel jetzt vorgedrungen. Das ist aus israelischer Sicht Sicherheitsgründen geschuldet. Es ist aber natürlich auch von strategischer Bedeutung. Der israelische Verteidigungsminister hat angekündigt, dass man zumindest über den Winter dort bleiben will. Es stellt sich die Frage, ob das womöglich die Beziehung zu einem im Entstehen begriffenen Regime in Syrien schon belasten könnte.
Wie ist dieses Vordringen völkerrechtlich zu werten?
Der UNO-Generalsekretär und arabische Staaten haben Israel schon dazu aufgefordert, sich aus dieser Pufferzone zurückzuziehen. Sie sagen, dass das syrisches Territorium ist. Syrien sieht sich an das Entflechtungsabkommen von 1974 nicht mehr gebunden, weil das Regime, mit dem man dieses abgeschlossen hat, nicht mehr existiert.
Das Gespräch führte Iwan Lieberherr.