«Donnernder Rauch» nennen die lokalen Lozi die Victoriafälle. Führt der Sambesi viel Wasser, wird das Rauschen ohrenbetäubend und der Besucher bachnass von der Dunstwolke.
Der Tourismus ist enorm wichtig für Simbabwe. Er trägt über acht Prozent zum Bruttoinlandprodukt des heruntergewirtschafteten Staates im südlichen Afrika bei. Und die Regierung hofft, dass es künftig noch mehr wird, denn das Land hat Devisen dringend nötig.
Die Touristen geben ihr Geld gerne aus bei den gigantischen Fällen. 150 Franken kostet ein Helikopterflug von zwölf Minuten, um aus der Luft ein gutes Foto schiessen zu können. Ständig rattern Helikopter über der Kleinstadt Victoria Falls. Auch Julie Eversol hat sich den Flug gegönnt, wie sie beim Frühstück auf der Hotelterrasse erzählt.
«Die Kinder sind so fröhlich»
«Das Riverrafting gefiel mir sehr gut», erzählt die Amerikanerin bei Speck, Würstchen und Cornflakes. Doch der Höhepunkt sei ein Besuch in einem Waisenhaus gewesen. «Dort haben wir mit blossen Händen mitgeholfen, die Hütten mit Lehm zu bemalen. Amazing!»
Ihre Schwester Sheryl Graham ist erstmals in Afrika. Das Leben sei hier schon hart, bemerkt sie. Darum hat ihre Tourgruppe mit dem Safariauto einigen Frauen beim Wasserholen geholfen. Beeindruckt ist sie von den Kindern: «Die sind alle so fröhlich, wunderbar!»
Monatslohn von 20 Franken
Im Quartier Mkhosana am Rande der Stadt spielen Kinder auf der sandigen Strasse. Hier wohnen die Arbeiter der Tourismusindustrie. Und hier ist Nokuthaba zu Hause. Die 23-jährige Mutter arbeitet seit einem Jahr als Kellnerin in einem Luxusresort. Zuvor war sie vier Jahre auf Jobsuche.
«Meine Beine und Füsse schmerzen», klagt Nokuthaba. Zehn Stunden war sie am Arbeiten, wie jeden Tag. Zwei Mal gibt es 5 Minuten Pause. Nun kocht sie auf dem Feuer vor ihrem Haus Nachtessen für ihre Tochter und den Bruder. Strom gibt es nicht.
Dank der Touristen hat Nokuthaba ein festes Einkommen. Die Amerikaner bezahlen im «Elephant Hills Hotel» mit Pool und Palmen 250 Franken für die Nacht. Die Kellnerin verdient 20 Franken im Monat. Die Miete kann sie nur dank Trinkgeldern bezahlen. Andere Arbeiter im Quartier leben in improvisierten Zelten aus Ästen und Plastikplanen.
«Hier wird ordentlich Geld gemacht»
Im Zentrum von Victoria Falls ist alles sauber herausgeputzt. Eine Musikgruppe spielt auf Holzinstrumenten Pop-Hits. Souvenirstände und Reiseagenturen reihen sich aneinander. Junge Männer versuchen ständig, alte Dollarscheine von der Hyperinflation vor zehn Jahren zu verkaufen. Wer möchte nicht mal einen Hundertmilliardenschein in der Hand halten? Auch heute ist die Inflation wieder hoch, gegen 500 Prozent, schätzen Ökonomen.
An seinem Stand verkauft Trymore Ndolo, was bei westlichen Touristen gefragt ist: Tücher, Masken, Holzgiraffen. Ndolo setzt sich für die Rechte von Tourismusangestellten ein. «Hier werden viele ausgebeutet und arbeiten für praktisch keinen Lohn», klagt er. Doch in Victoria Falls werde ordentlich Geld gemacht.
Gemeinsam ein Huhn schlachten
Bloss erreicht das Geld der Touristen die Angestellten nicht. Viele Hotels bezahlen Löhne in lokalen Simbabwe-Dollars aus. Die Mieten im Quartier Mkhosana müssen hingegen in US-Dollars bezahlt werden. Das Resultat: Die Inflation frisst die Löhne praktisch auf.
Trymore Ndolo wünscht sich darum einen nachhaltigeren Tourismus, von welchem die lokalen Gemeinschaften profitieren. Statt Helikopterflüge und Waisenhausbemalen mehr Zeit zusammen verbringen: «Stell dir vor, man kocht gemeinsam im Dorf, schlachtet und grilliert ein Huhn...» Ndolo gerät ins Schwärmen. Die Touristen könnten so das echte Leben erleben und die Gemeinschaft direkt unterstützen. Doch derzeit fehlt das Angebot – und vielleicht auch die Nachfrage.
Tourismus alleine hilft nicht
Wohin fliesst das Geld in Victoria Falls? Wenn rund 400'000 Touristen den Ort jährlich besuchen und zwischen 500 und 1000 Franken ausgeben, kommen geschätzte 400 Millionen Franken zusammen. Der lokale Ableger des nationalen Tourismusverbandes hat keine Zeit für ein Gespräch. Bei vielen Hotels und Tourorganisationen blitzt man mit der Frage ab.
Schliesslich erzählt ein Auswärtiger von seinen Beobachtungen. Lionel McCauley ist in Alaska geboren und führt nun seit drei Jahren die «River Brewery». Es ist ein Hipster-Lokal mit Craft-Bier wie es auch in einer europäischen Kleinstadt existieren könnte. «Ich habe mich in Victoria Falls verliebt», lacht der Braumeister.
Geld fliesst ins Ausland
Glaubt McCauley, dass der Tourismus Simbabwe aus der Krise helfen kann, wie es etwa der Finanzminister hofft? «Nein, wir brauchen mehr Industrie. Dazu gebildete Arbeiter, die nicht ins Ausland abwandern.» Weil die lokale Produktion fehlt, werden viele Güter in Simbabwe importiert. Etwa die Gerste fürs Bier oder die Cornflakes auf dem Frühstückstisch. Und das wird schnell teuer.
Dazu kommt: Die grossen Hotels gehören zu internationalen Ketten, viele Tour-Anbieter in Victoria Falls stammen aus Südafrika. Darum fliesst das Geld, das die Touristen hier ausgeben, gleich wieder ins Ausland ab.
Mit gerechten Löhnen würde zumindest ein Beitrag dazu geleistet, dass mehr Geld für die Menschen im Land bleibt. Darum bezahlt der Bierbrauer seinen Angestellten einen Lohn von rund 400 Franken im Monat. «Ich will, dass sie sich etwas leisten können. Dass sie einst im Auto vorfahren, oder ein eigenes Haus besitzen.»
Doch während die Touristen in der «River Brewery» abends mit einem IPA anstossen und von ihren Abenteuern auf Safari oder im Helikopter schwärmen, bleibt ein eigenes Auto oder Haus für die meisten Arbeiter in Victoria Falls ein ferner Traum.