Eine zweite grosse Infektionswelle in der Coronakrise könnte Deutschland zwei führenden Virologen zufolge erspart bleiben. «Vielleicht entgehen wir einem zweiten Shutdown», sagte der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité dem «Spiegel». Es gebe jetzt eine «theoretische Möglichkeit», dass die Deutschen «ohne zweite Welle durchkommen».
Ähnlich äusserte sich sein Kollege Hendrik Streeck von der Universität Bonn. Vermutlich werde es immer mal wieder lokale Ausbrüche wie zuletzt in Leer oder Frankfurt geben, sagte Streeck dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). «Das wird vielleicht im Herbst auch vermehrt und überraschend geschehen – aber ich glaube nicht, dass wir eine zweite Welle sehen werden, die uns regelrecht überschwemmt und überfordert.»
Isolation von Superspreadern entscheidend
Drosten sagte, die Wissenschaft habe inzwischen ein besseres Verständnis des Infektionsgeschehens. Man wisse nun genauer, wie sich das Virus verbreite – und zwar über wenige sogenannte Superspreader, die es an viele Menschen weitergäben. Und ein solches Infektionsgeschehen kann man besser kontrollieren als eine gleichförmige Ausbreitung unterm Radar, wie wir das am Anfang angenommen haben», sagt Drosten.
Dafür könnte die Zeit der Quarantäne aber deutlich verkürzt werden: Kontaktpersonen müssten künftig in Deutschland nur eine gute Woche in der Isolation verbringen, denn «die Inkubationszeit und die Zeit, in der man ansteckend ist, das alles ist nämlich deutlich kürzer als anfangs gedacht».
Deutschland befinde sich ohnehin in einer guten Situation. Drosten: «Wir
haben mit vergleichsweise milden Massnahmen eine Pandemiewelle gestoppt, und zwar total effizient.»
Fokus auf Grossevents
Auch sieht Streeck grundsätzlich gute Chancen, das Virus beherrschbar zu halten. Denn trotz der Lockerungen habe es keinen Anstieg der Infektionen gegeben.
Man tut gut daran, sich auch darauf vorzubereiten, dass es keinen Impfstoff geben wird.
Der Virologe rät dazu, bei den Schutzmassnahmen sich vor allem auf Grossevents zu fokussieren. «Die zu unterbinden, scheint am ehesten was gebracht zu haben.» Zudem warnt er vor voreiligen Hoffnungen auf einen Impfstoff. Man tue gut daran, sich auch darauf vorzubereiten, dass es diesen Impfstoff nicht geben werde.
«Gegen HIV wurden schon über 500 Impfstoffe konstruiert, wenige auf Effektivität getestet, aber keiner hat funktioniert», sagte Streeck. «Das Virus ist da und wird bleiben. Und wir müssen uns darauf einstellen, damit umzugehen.»