Heute entscheidet das höchste französische Gericht über die Auslieferung eines mutmasslichen Drahtziehers des Völkermords von Ruanda 1994, Félicien Kabuga. Der heute 87-Jährige war während 20 Jahren eine der meistgesuchten Personen der Welt, Ende Mai wurde er bei Paris verhaftet. Im Fall Kabuga habe 1994 auch die Schweiz eine unrühmliche Rolle gespielt, sagt SRF-Afrika-Korrespondentin Anna Lemmenmeier.
SRF News: Der Auslieferungsprozess in Paris ist enorm wichtig für Ruanda. Welche Rolle spielt der Auslieferungsentscheid dort?
Anna Lemmenmeier: Félicien Kabuga ist nicht irgendein Ruander. Er war 1994, als der Völkermord ausbrach, der reichste Mann Ruandas und wird verdächtigt, einer der Haupttäter des Genozids von Ruanda gewesen zu sein, indem er sein Geld zur Finanzierung des Massenmordes an der Tutsi-Minderheit durch die Hutu einsetzte.
Kabuga soll 1994 Hunderttausende Macheten nach Ruanda importiert haben.
So finanzierte er etwa eine Radiostation, die zum Genozid aufrief, auch soll er bewaffnete Gruppen unterstützt haben. Ausserdem wird Kabuga vorgeworfen, Hunderttausende Macheten importiert zu haben, mit denen dann bis zu einer Million Tutsi abgeschlachtet wurden.
Kabuga war über 20 Jahre auf der Flucht – trotz internationaler Fahndung. Wer hat ihn gedeckt?
Dabei haben mehrere Länder eine sehr unrühmliche Rolle gespielt – darunter auch die Schweiz. Kabuga war 1994 während ein paar Wochen in der Schweiz, doch die Behörden bezahlten ihm – anstatt ihn zu verhaften – Flugtickets im Wert von 20'000 Franken, damit er und seine Entourage das Land verlassen konnte. Auch erlaubte man es ihm, in Genf vor der Abreise noch Geld bei der Bank abzuheben.
Die Schweizer Behörden bezahlten Kabuga 1994 die Flugtickets, damit er und seine Entourage das Land verlassen konnten.
Doch auch Kenia spielte eine sehr unrühmliche Rolle, denn dort soll Kabuga daraufhin mehrere Jahre verbracht haben. Er dürfte sich mit seinem Reichtum Schutz von ganz oben erkauft haben. Vor seiner Verhaftung im Mai hatte Kabuga wohl schon seit einigen Jahren bei Paris gelebt, ohne dass er den Behörden aufgefallen wäre. Da fragt man sich schon, wie das möglich ist – bei einem derart intensiv gesuchten Mann.
Jetzt entscheidet das höchste französische Gericht, wo Kabuga der Prozess gemacht werden soll: In Frankreich, vor dem internationalen Strafgericht in Den Haag oder in Tansania oder Ruanda. Was ist am Wahrscheinlichsten?
Eigentlich ist die Zuständigkeit geregelt – es ist das Ruanda-Nachfolgetribunal in Arusha, Tansania. Denn als das Ruanda-Tribunal geschlossen wurde, entschied der UNO-Sicherheitsrat, dass die Nachfolgeorganisation in Tansania für die noch anstehenden grossen Fälle zum Völkermord von 1994 in Ruanda zuständig ist. Das zu ändern, läge also beim UNO-Sicherheitsrat.
Kabuga könnte statt nach Tansania nach Den Haag ausgeliefert werden.
Kabuga ist 87-jährig und krank. Zusätzlich wird das Reisen durch Corona erschwert. Kann er überhaupt reisen?
Das ist eine der Fragen, mit denen sich das Gericht in Paris heute auseinandersetzen muss. Laut seinem Anwalt leidet Kabuga an Diabetes, hohem Blutdruck und an weiteren Alterskrankheiten. Deshalb sei eine Überstellung nach Tansania nicht möglich. Das französische Gericht könnte deshalb entscheiden, dass Kabuga statt nach Tansania nach Den Haag überstellt wird, denn dort ist der Zweitsitz des Ruanda-Nachfolgetribunals.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.