Nach der südafrikanischen Klage, Israel verübe im Gazastreifen einen Völkermord, hat das oberste UNO-Gericht eine Zwischenentscheidung gefällt. Sie gefällt Israel nicht, erfüllt aber ebenso wenig die Erwartungen Südafrikas und der Palästinenser.
Offiziell begrüsst die südafrikanische Regierung das Zwischenurteil. Auch die palästinensische Führung und die Terrororganisation Hamas äussern sich positiv. Tatsächlich hat das oberste UNO-Gericht in Den Haag anerkannt, dass bei den nun schon Wochen andauernden israelischen Gegenangriffen nach der Hamas-Terrorattacke die UNO-Völkermordkonvention verletzt werden könnte. Es hat sich daher für zuständig erklärt, über die südafrikanische Genozidklage gegen Israel zu urteilen.
Völkermord wird nicht ausgeschlossen
Die UNO-Richterinnen und Richter gehen also davon aus, es sei nicht auszuschliessen, dass Akte verübt werden, die als völkermörderisch zu bezeichnen wären. Entsprechend fordert das Zwischenurteil Israel auf, alles zu unternehmen, um genau das zu verhindern. Erforderlich seien zudem mehr Schutzmassnahmen für palästinensische Zivilisten. Binnen Monatsfrist muss die Regierung in Jerusalem nun dem Gericht dokumentieren, was sie dafür unternommen hat.
Israel versucht, das Urteil möglichst kleinzureden oder ganz zu ignorieren. Regierungschef Benjamin Netanyahu wiederholt, was er schon mehrfach gesagt hat: Man halte sich ans Völkerrecht und werde weiterfahren, das Land gegen den Hamas-Terror zu verteidigen. Allerdings dürfte er gehofft haben, die obersten UNO-Richter würden gar nicht auf den Fall eintreten. Doch das war von vornherein unrealistisch.
Grösserer Ärger, als Israel zugibt?
Des Weiteren meint der israelische Verteidigungsminister, sein Land brauche keine moralischen Lektionen aus Den Haag. Offenkundig ärgert man sich stärker über die Zwischenentscheidung, als man zugeben mag. Tatsächlich dürfte der internationale und sogar der amerikanische Druck auf die Rechtsregierung von Netanyahu aufgrund des Urteils weiter steigen.
Unrealistisch war aber auch zu erwarten, das Gericht werde in seinem Urteil noch viel weitergehende Massnahmen verhängen. Etwa, dass Israel seine Angriffe im Gazastreifen unverzüglich und vollständig einstellen muss. Das hatte Südafrika in seinem Eilantrag ebenfalls gefordert – erfolglos, wie sich nun zeigt.
Das Zwischenurteil, das sogenannte «provisorische Massnahmen» vorschreibt, ist ein Balanceakt. Nicht untypisch für das oberste Gericht. Daraus lässt sich nicht ablesen, wie es am Ende in der entscheidenden Frage urteilt, die sich durch die südafrikanische Klage stellt. Nämlich, ob Israel in Gaza tatsächlich einen Völkermord verübt oder nicht. Dieses abschliessende Urteil dürfte noch sehr lange, voraussichtlich Jahre, auf sich warten lassen.