Auch über einen Monat nach dem verheerenden Brand türmen sich im Hauptschiff der Kathedrale noch verkohlte Eichenbalken und Trümmer des eingestürzten Dachstocks. Zur Räumung werden ferngesteuerte Baumaschinen eingesetzt; noch ist es zu gefährlich unter den Gewölbebögen, die ohne das 300 Tonnen schwere Bleidach instabil geworden sind.
«Wir sind immer noch dabei, zu retten, was zu retten ist», sagt Charlotte Hubert. Die Vorsitzende der Vereinigung der leitenden Architekten für historische Bauwerke betont, dass die Sicherungsarbeiten noch längst nicht abgeschlossen sind.
Die Flammen waren kaum gelöscht, als schon Ideen zur Rekonstruktion der berühmten Kathedrale ins Kraut schossen. Architekten aus aller Welt überbieten sich mit kühnen Entwürfen, träumen von einem begehbaren Dach, von lichtdurchfluteten Glas- und Stahlkonstruktionen, von einem neuen Spitzturm in Flammenform oder gar von einem Swimmingpool auf dem Dach.
Neben dem Ideen-Wettbewerb ist es offenbar ein Ego-Ding, wer der Notre Dame seinen Stempel aufdrücken kann.
Für die Chef-Architektin geht das alles ein bisschen schnell. «Neben dem Ideen-Wettbewerb ist es offenbar ein Ego-Ding, wer der Notre Dame seinen Stempel aufdrücken kann.» In der Vergangenheit hätten Architekten das Gotteshaus immer als unveränderliche Einheit im Stil des 13. Jahrhunderts angesehen. So habe beispielsweise Eugène Viollet-le-Duc seinen filigranen Spitzturm nicht einmal signiert. Nur eine kleine Plakette auf dem Dach habe auf den Architekten hingewiesen.
Eine zentrale Frage ist für Hubert, welchen Stellenwert man dem Brand in der 850-jährigen Geschichte der Kathedrale geben wolle. «Notre Dame hat Religionskriege und Krönungen erlebt, hat Schätze und Reliquien gehütet, sie erzählt die Geschichte Frankreichs. Die Frage ist, was wir vom 15. April 2019 erzählen wollen.»
Erst gut 70 Millionen Euro gespendet
Noch ist unklar, wieviel Geld die Rekonstruktion verschlingen wird. Und der Spendenfluss stockt. Von den zugesicherten rund 900 Millionen Euro sind bisher erst gut 70 effektiv bei den vier Stiftungen angekommen, die der Staat mit der Sammlung beauftragt hat.
«Allein unserer Fondation Notre Dame wurden 360 Millionen Euro versprochen. Aber erst etwas über 15 Millionen wurden bis heute auch tatsächlich eingezahlt», führt Christophe-Charles Rousselot von der Stiftung aus. Davon hätte die Stiftung bereits 3.6 Millionen Euro für Sicherungsarbeiten gezahlt.
Die Verbindung mit Notre Dame ist für viele Menschen sehr eng, ob persönlich oder spirituell.
Die Zerstörung der Notre Dame hat rund um den Globus schockiert und die Portemonnaies geöffnet. Immer noch treffen in der Stiftung täglich hunderte Briefe mit Checks ein. «Oftmals schämen sich die Leute fast, wenn sie nur 10 Euro geben können», sagt Rousselot. Aber unter vielen Kleinspenden finden sich auch immer wieder Checks mit fünfstelligen Beträgen. «Die Verbindung mit Notre Dame ist für viele Menschen sehr eng, ob persönlich oder spirituell.»
TV-Messe geplant
Der Bischof von Paris plant, schon in den nächsten Wochen eine Messe in der Kathedrale abzuhalten – wenn nötig setze der Bischof auch einen Schutzhelm statt der traditionellen Mitra auf. Die Messe soll von katholischen TV-Sendern ausgestrahlt werden. Denn für Gläubige und andere Besucher bleibt die Kathedrale noch lange Zeit unzugänglich.