Zehn Tage Quarantäne in einem Hotel in Shanghai: Die Korrespondentenzeit in China begann für Samuel Emch im September 2022 gewöhnungsbedürftig. Auch die darauffolgenden Wochen und Monate waren für Emch und seine Familie eine Herausforderung.
Es sei eine Phase der ständigen Unsicherheit gewesen, sagt der China-Korrespondent rückblickend. Nicht nur wegen der ständigen Lockdowns im Zuge der strikten Null-Covid-Politik, sondern auch wegen der wachsenden Proteste in den Grossstädten und der Frage, wie die Regierung darauf reagieren würde.
Der Frust in der Bevölkerung über die Null-Covid-Restriktionen sei stark spürbar gewesen, betont Emch. Besonders überrascht war er, als die Menschen auf dem Gipfel der Protestwelle sogar das Gespräch mit ihm suchten und bereitwillig Auskunft gaben über ihre schwierige Situation. Normalerweise werde in China der Kontakt zu ausländischen Journalisten eher gemieden.
Im Dezember 2022 folgte dann die abrupte Kehrtwende: Innerhalb weniger Tage warf China seine strenge Null-Covid-Politik über Bord. Für Samuel Emch nicht nur eine Reaktion auf die wachsenden Proteste im Land, sondern vor allem auf die höchst problematische Wirtschaftslage.
Schwächelnde Wirtschaft und Jugendarbeitslosigkeit
Mittlerweile funktionieren Chinas Wertschöpfungsketten wieder. Aber ob sich die Wirtschaft tatsächlich so weit erholt, wie man sich das erhofft hat, wagt der ehemalige Wirtschaftsredaktor zu bezweifeln. Etwa weil die Bevölkerung während der Pandemie angefangen hat zu sparen und die Bereitschaft, Geld auszugeben, weiter verhalten bleibt.
Das aktuell drängendste Problem sieht Emch jedoch in der hohen Jugendarbeitslosigkeit: Mit über 20 Prozent liege diese derzeit auf Rekordniveau. Probleme, an Jobs zu gelangen, hätten junge Chinesinnen und Chinesen vor allem im Technologie- und im Nachhilfesektor, sagt Emch. Die Regierung habe mit staatlichen Regulationen stark in diese beiden Sektoren eingegriffen, um die Kontrolle über das Wirtschaftswachstum und über demografische Veränderungen zu behalten.
Auch sonst verwische die Trennung von Privatwirtschaft und Staat unter der kommunistischen Regierung immer stärker. «Ich denke schon, dass Chinas Wirtschaft je länger, je mehr die Handschrift von Präsident Xi Jinping trägt», bestätigt Emch.
«Schreiben Sie ein Fax»
Nicht nur die Wirtschaft Chinas gibt im Ausland zu reden, sondern auch die politische Zensur im Land. Aus China zu berichten, ist nicht einfach, selbst wenn man dort lebt. Diese Erfahrung machte Samuel Emch bereits zu Beginn seiner Korrespondentenzeit. Als das Land seine Null-Covid-Politik lockerte, wollte der SRF-Korrespondent über die langen Schlangen vor den Krematorien berichten. Doch seine Interviewanfragen bei den Behörden sind allesamt im Sand verlaufen. «Am Schluss hiess es, ich solle ein Fax schicken. Bis heute habe ich darauf keine Antwort erhalten», so Emch.
Die Verschwiegenheit der Behörden gegenüber den Medien hat viel mit dem autoritären Führungsstil der Regierung zu tun. Meinungen, die von derjenigen des Präsidenten abweichen, oder Kritik an der Regierung haben im China von Xi Jinping wenig Platz. Expertenkreisen zufolge hat Xi mittlerweile sogar mehr Macht als früher der einstige Parteiführer Mao Zedong.
Nach Einschätzung von SRF-Korrespondent Samuel Emch spricht dafür nicht nur die ungewöhnliche dritte Amtszeit, die Xi dieses Jahr angetreten hat, sondern auch, dass es ihm gelungen ist, im Staatsapparat und in der Partei überall seine Leute zu positionieren. «Innerhalb der kommunistischen Partei gibt es mittlerweile eigentlich nur noch eine Fraktion: nämlich diejenige von Xi», weiss Emch.
Kulturelle Einflüsse aus Taiwan und Japan
Chinas Kultur reicht Tausende Jahre zurück und ist so gross und vielfältig wie das Land selbst. «Auf diese Kultur ist China stolz und sie wird gepflegt», erklärt China-Korrespondent Samuel Emch. An jeder Schule würden in der Freizeit Kung-Fu-Kurse angeboten, und auch die chinesische Harmonielehre Feng-Shui werde von vielen Menschen praktiziert.
Dennoch empfindet Samuel Emch das Angebot an kulturellem Leben, zumindest in Shanghai, insgesamt als eher «dünn». Auch das eine Folge der chinesischen Zensurpolitik, ist Emch überzeugt. Wie sich diese auswirkt, zeigt ein Blick auf die Musikindustrie: «Weil Musikschaffende im Nachbarland Taiwan beispielsweise deutlich mehr künstlerische Freiheiten haben als in China und die Songtexte dadurch näher am Alltag der Menschen sind, geniesst taiwanesische Musik in China auch mehr Einfluss als umgekehrt.»
Solche Einflüsse aus dem Ausland beobachtet Samuel Emch auch in anderen kulturellen Sparten, etwa bei Mangas oder Games: «Hier ist beispielsweise der Einfluss durch Charaktere oder Figuren aus Japan schon recht eindrücklich.»
Wirtschaftsdeals am Esstisch
Ein zentrales Element der chinesischen Kultur ist das Essen. «Wer in China zu Besuch ist, wird nicht als Erstes gefragt, wie es ihm oder ihr geht, sondern ob er oder sie schon gegessen hat», erklärt Emch. Jede Region kenne ihre eigene Küche und sei stolz darauf. Mit ein Grund, weshalb in Fachkreisen bis heute darüber gestritten werde, wie viele chinesische Küchen es insgesamt gibt.
Wer in China zu Besuch ist, wird nicht als Erstes gefragt, wie es ihm oder ihr geht, sondern ob er oder sie schon gegessen hat.
Essen spielt laut Samuel Emch auch in der Wirtschaft und der Politik eine wichtige Rolle: «Wirtschaftsdeals werden in China nicht am Sitzungstisch, sondern am Esstisch abgeschlossen.»
Essen sei in China einfach allgegenwärtig, erklärt Emch, der sich inzwischen gerne durch die verschiedenen regionalen, und teilweise auch gewöhnungsbedürftigen, Spezialitäten probiert. Abschliessend meint Samuel Emch dazu: «Lustigerweise haben sich meine Kinder schneller an die chinesische Esskultur gewöhnt als ich.»