Der neue US-Präsident Donald Trump wird sich bald mit einem vertraulichen Dossier aus London beschäftigen: «Diego Garcia». Eine Insel mitten im Indischen Ozean. Britisches Territorium. Ursprünglich im Besitz von Mauritius. Die britische Regierung unter Premier Keir Starmer möchte die koloniale Altlast den ehemaligen Besitzern zurückgeben. Dabei gibt es aber ein kleines Problem: die Untermieter. Die USA betreiben auf dem Atoll seit 1973 einen wichtigen Militärstützpunkt.
Über die Zukunft der geopolitischen Perle im Indischen Ozean wird in den kommenden Tagen und Wochen zwischen Washington, Mauritius und London wohl intensiv verhandelt. Nicht zu Wort kommen dabei jene Menschen, welche Grossbritannien einst von den Inseln deportierte. Ein Teil von ihnen lebt heute im Süden Londons, wo sie sich wöchentlich zum Lunch treffen.
Madame Bernadette hat nicht gern Fischkonserven. Die Thunfisch-Sandwichs, die im Kirchgemeindehaus serviert werden, scheinen ihr nicht recht zu schmecken. Dort, wo sie herkomme, habe man nur frischen Fisch gegessen.
«Es gab alles. Fisch, Tintenfisch, Krabben, Hummer. Wenn wir Hunger hatten, machte die Mutter ein Feuer, kochte Reis und der Vater brachte frischen Fisch. Daneben bauten wir Gemüse an, hatten Hühner und Schweine. Es war ein Paradies. Das haben wir verloren», erzählt Madame Bernadette.
Madame Bernadette ist fast 70-jährig. Auf die Welt gekommen ist sie auf Diego Garcia. Einer kleinen Insel mitten im Indischen Ozean. Teil des Chagos-Archipels. Ihre Vorfahren wurden im 18. Jahrhundert als Sklaven und Sklavinnen aus Afrika auf die Inseln gebracht. Ihre Nachfahren sind als Fischer und Arbeiterinnen auf einer Kokosnuss-Plantage auf dem Archipel geblieben. Das Leben auf Diego Garcia sei einfach, aber schön gewesen. Bis zu jenem Tag im Jahre 1973.
Ein Koffer pro Person
«Ein Schiff hat am Pier angelegt. Es kamen Kolonialbeamte an Land und haben gesagt, dass wir die Insel verlassen müssen.» Diese sei verkauft worden. Jede Person durfte nur einen Koffer mitnehmen. Die restlichen Habseligkeiten mussten sie zurücklassen. Ihre Haustiere seien vergast worden.
Auf Druck der USA haben die Briten ihnen Diego Garcia im Kalten Krieg als Militärstützpunkt verpachtet. Die meisten Bewohnerinnen und Bewohner der Chagos Islands wurden nach Mauritius gebracht. Einige durften später nach England übersiedeln. Gelandet sind sie in Crawley, eine Stadt in der Anflugschneise des Londoner Flughafens Gatwick, wo sich die Chagossianer jeden Mittwoch im Gemeindehaus zum Essen und Bingo-Spiel treffen.
Die Eigentumsverhältnisse von Diego Garcia beschäftigen Gerichte und die britische Regierung bis heute. Die neue Labour-Regierung möchte die koloniale Altlast baldmöglichst loswerden und die Inseln Mauritius zurückgeben. Die Verhandlungen sind seit Wochen im Gang.
Keine Rückkehr möglich
Es sei Zeit, dass sich die britische Regierung endlich bei den Chagossianerinnen und Chagossianern für das erlittene Unrecht entschuldige, forderte der ehemalige Labour-Chef Jeremy Corbyn unlängst im Unterhaus: «Was den Leuten damals angetan wurde, ist schrecklich und völkerrechtswidrig». Corbyn wollte vom britischen Aussenminister David Lammy wissen, ob diese Leute nach einer Rückgabe des Archipels an Mauritius endlich wieder nach Diego Garcia zurückkehren könnten.
Leider sei eine Rückkehr weder vorgesehen noch möglich, denn Diego Garcia bleibe ein militärisches Sperrgebiet. Und Nigel Farage, der Chef der rechtspopulistischen Reform UK Partei, warnte das Parlament, dass die Rückgabe der Chagos-Inseln an Mauritius, nicht nur die globale Sicherheit erschüttern könnte, sondern ebenso Donald Trump.
Diesen möchte die britische Regierung jedoch keinesfalls bereits zu Beginn seiner Amtszeit vor den Kopf stossen. Deshalb werde das Dossier dem neuen US-Präsidenten zur Konsultation vorgelegt, heisst es in London.
«Mit den Betroffenen spricht niemand»
Die letzte britische Kolonie mitten im Indischen Ozean ist eine Geschichte mit vielen Facetten und Protagonisten. Selten zu Wort kommen jene in der Anflugschneise von Gatwick. Zum Beispiel Frankie Bontemps, dessen Eltern 1973 von Diego Garcia deportiert wurden.
«Das macht uns sehr wütend. Wir fühlen uns einmal mehr betrogen. Und zwar von beiden Regierungen. Von London und Mauritius. Über uns wird verhandelt, aber niemand spricht mit uns, den Betroffenen dieser Tragödie. Meine Eltern wurden damals nicht gefragt und heute werden auch wir nicht gefragt. Wir wünschen uns Gerechtigkeit.» Doch alle schauten nur für ihren Vorteil. «Die Briten und die USA wollen ihren Stützpunkt und Mauritius will dafür möglichst viel Geld bekommen.»
Sperrgebiet für weitere 140 Jahre
Die Bingo-Spielerinnen und Spieler in Crawley träumen dagegen von einer Rückkehr ins verlorene Paradies. Doch beim Träumen wird es wohl bleiben. Denn egal, ob die Chagos Inseln in britischem Besitz bleiben oder Mauritius zurückgegeben werden. Madame Bernadette wird sich mit Fisch aus der Büchse abfinden müssen.
Gemäss den Vertrags-Entwürfen der Briten soll Diego Garcia noch für weitere 140 Jahre ein Sperrgebiet bleiben. Ein Stützpunkt für amerikanische Bomber und Kriegsschiffe. Sein Name «Camp Justice».