Er nimmt an Demonstrationen von Schwulen und Transsexuellen teil und hisst deren Fahne. Er boxt gegen einen Oppositionspolitiker. Er entschuldigt sich als erster kanadischer Premierminister bei den Ureinwohnern. Justin Trudeau ist 46-jährig, charmant, eloquent und enorm gutaussehend. Und wohl neben US-Präsident Donald Trump einer der raren Politiker, der eine regelrechte Fangemeinde und Starqualitäten hat.
Ungezwungen plaudern
«Kanada ist zurück», und zwar auf der Weltbühne. So lautet das Motto des Gastgebers am G7-Gipfel. Er will wieder das weltoffene, tolerante, solidarische Kanada in den Vordergrund rücken nach den bleiernen Jahren unter seinem Vorgänger Stephen Harper, der im Vergleich zu Trudeau wie ein sturer Apparatschik wirkte.
Trudeau hat es gern mal etwas lockerer – auch am G7-Gipfel diese Woche in Charlevoix bei Québec: Zusammensitzen, informell, umgeben von grossartiger Landschaft, einfach mal ungezwungen plaudern unter den Mächtigen über die Dinge, die wirklich wichtig sind. Dies sei «extrem wichtig», sagt der Premier.
Die anderen Themen von Trudeau
Ob das gelingt angesichts der aktuellen weltpolitischen Spannungen, nicht zuletzt zwischen den USA und den übrigen G7-Ländern, ist eine andere Frage. Klimawandel, Schutz der Ozeane, Frauenrechte, Zukunftsarbeitsplätze sind Themen, die den kanadischen Premier umtreiben.
Seine Gegner werfen ihm zwar vor, seine Ankündigungen seien oft beeindruckender als deren Umsetzung. Bisweilen sei unklar ist, wofür er stehe. Zumindest aber ist er fest entschlossen, das G7-Land mit dem geringsten Gewicht wieder zu einer Grösse zu machen. Etwa indem es sich stark in der UNO engagiert und wieder Blauhelmsoldaten stellt. So soll nach seinen Worten erneut gelten, was jahrzehntelang galt: Kanada steht bereit, wenn man es braucht.
Klare Ansage
Als US-Präsident Donald Trump syrische Flüchtlinge abwies, hiess Justin Trudeau sie willkommen. Nachdem Trump dem freien Welthandel den Garaus macht, kämpft Trudeau für Öffnung. Und droht: Wenn die USA weiter Kanada attackieren, wird es auch den Amerikanern weh tun.
Trump beherrscht die Agenda
Für Professor Louis Bélanger, Direktor des Instituts für internationale Beziehungen der Universität Laval in Québec, ist die Öffnung zur Welt tatsächlich eine Priorität der jetzigen kanadischen Regierung. Leider sei der Zeitpunkt ungünstig, stellt er fest. Ein Grossteil der diplomatischen Energie der Regierung fliesse momentan notgedrungen ins Verhältnis zu Trump und die Neuverhandlungen des für Kanada überlebenswichtigen nordamerikanischen Freihandelsabkommens.
Auch auf dem G7-Gipfel will der kanadische Premier Initiativen lancieren. Doch wenn Trump den Spielverderber gibt, wird der Anti-Trump oder der «Kennedy Kanadas» wenig erreichen.
Die US-Zeitschrift «Rolling Stone» widmete Trudeau einst gar die Titelseite und fragte: «Wieso kann dieser Mann nicht unser Präsident sein?» Nun, Barack Obama war ihm nicht unähnlich – doch die Amerikaner haben nach ihm exakt das Gegenteil gewählt.