Die Türkei hat ihren Militäreinsatz im Nordosten Syriens begonnen. Ziele dürften fürs Erste die beiden Ortschaften Tall Abyad und Ras al-Ayn sein. Es ist das Gebiet, aus dem die USA zuletzt 50 Soldaten verlegt haben.
Um es klar zu sagen: Es gibt viele Gründe, die türkische Invasion als grossen Fehler zu bezeichnen. Die von Präsident Erdogan erträumte Veränderung der Demografie des gesamten Landstrichs, in dem die Türkei ihre Sicherheitszone errichten will, ist ein Garant für künftige ethnische Konflikte. Heute leben in jener Zone mehrheitlich Kurden, dazu Minderheiten wie Christen, Jesiden oder Aramäer. Erdogan jedoch will in jener Zone arabischstämmige syrische Flüchtlinge aus der Türkei ansiedeln. Setzt Erdogan seinen Plan tatsächlich um, wird dies noch in Jahrzehnten verheerende Folgen haben.
Gleichzeitig ist es falsch, für das sich abspielende Drama alleine die Politik von US-Präsident Donald Trump verantwortlich zu machen. Trumps Hüst- und Hott-Twitterei verschlimmert die Lage zwar, doch die Konfrontation war unausweichlich, seit Trumps Vorgänger Barack Obama im Kampf gegen die Terrormiliz «Islamischer Staat» (IS) entschieden hat, keine Soldaten nach Syrien zu entsenden, sondern die kurdischen Milizen den Kampf am Boden führen zu lassen.
Die USA haben sich damit nur Zeit gekauft. Denn einerseits müssen und wollen die USA mit dem Nato-Partner Türkei kooperieren, andererseits setzten sie auf die mit der Türkei verfeindeten Kurden.
Deshalb dürfte die Administration Trump versucht sein, einige Fehler aus der Vergangenheit zu korrigieren. Auch wenn der Präsident aus innenpolitischen Gründen den Anschein erwecken möchte, ziehen sich die USA keineswegs gänzlich aus Syrien zurück. Sie haben bislang lediglich einige Posten geräumt. Und die USA haben mehr denn je Gründe, in Syrien zu bleiben
Die Ölfelder wollen die USA nicht aufgeben
Erstens, weil der grosse Gewinner eines US-Rückzugs aus Syrien der Iran wäre. Dieser würde ein Vakuum im Rücken der kurdischen Milizen sofort ausnützen und sich zusammen mit Assad-treuen Milizen die Kontrolle über die wichtigen Ölfelder östlich von Deir Ezzor sichern. Gleichzeitig würde der Iran seine Landbrücke von Teheran über Bagdad nach Damaskus und weiter nach Beirut stärken und seinen Einfluss ausbauen.
Zweitens würde ein Sicherheitsvakuum südlich von Raqqa dem IS ermöglichen, sich neu zu formieren. IS-Führer Baghdadi hat die inhaftierten IS-Kämpfer vor nicht allzu langer Zeit zu einer grossen Ausbruchs-Welle aufgerufen, und das sich entfaltende Chaos von ethnischen und religiösen Konflikten bietet den idealen Nährboden für die Terrormiliz.
Alles in allem haben die USA ein grosses Interesse, eng mit der Türkei zusammenzuarbeiten und diese gleichzeitig einzugrenzen. Trump und Erdogan haben ein Treffen in Washington angekündigt. Dieses soll im November stattfinden. Damit deutet einiges darauf hin, dass die heute begonnene Operation zunächst kleiner ausfallen könnte, als von Erdogan angekündigt.