Der Boden in Sibirien, der früher dauerhaft gefroren war, taut auf. Das führt zu grosser Instabilität. Auch ehemals gefrorenes Methangas tritt vermehrt aus. Auslandredaktorin Brigitte Zingg hat die Auswirkungen vor Ort beobachtet.
SRF News: Wie zeigt sich das Auftauen des Permafrosts?
Brigitte Zingg: Viele Häuser haben Risse. Kleinere und ältere Häuser stehen windschief. Das hat damit zu tun, dass die Häuser in den Permafrost-Gebieten auf Stahl- oder Betonpfeiler gebaut werden. Die Pfeiler beginnen zu wackeln und bewegen sich.
Wie sieht es mit der übrigen Infrastruktur aus?
Für die Strassen und Brücken gilt dasselbe. Wenn im Sommer der Permafrost taut, senkt sich der Teerbelag etwas ab. Es sieht fast aus wie ein Wellblech. Das verursacht grosse Löcher in den Strassen. Je höher die Bodentemperatur, desto instabiler das Fundament für die gesamte Infrastruktur.
Viele Leute überlegen sich, in südliche Gefilde umzuziehen. Die Regierung versucht allerdings, vor allem die Arbeitskräfte im Gebiet zu halten. Sie bezahlt ihnen höhere Löhne als im übrigen Russland.
Was hat das für Folgen für die Menschen, die dort leben?
Wer in einem Permafrostgebiet lebt, der ist vor allem eines: verunsichert. Neue Gebäude zu bauen ist schwierig. Viele Leute überlegen sich, in südliche Gefilde umzuziehen. Die Regierung versucht allerdings, vor allem die Arbeitskräfte im Gebiet zu halten. Sie bezahlt ihnen höhere Löhne als im übrigen Russland.
Die Städte leben vor allem von der Öl- und Gasförderung. Welche Konsequenzen hat das Auftauen des Permafrosts für diese Industrie?
Für die Städte bringen die Rohstoffe Arbeitsplätze, Steuern und Abgaben. Es ist aber so, dass die Gas- und Ölpipelines über Hunderte von Kilometern durch die Tundra geführt werden. Wenn nun der Boden auftaut, brechen die Pipelines und es fliesst Öl aus, was zu riesigen Umweltschäden führt. Greenpeace hat vor etwa zehn Jahren berechnet, dass die Ölförderer allein für die Schäden durch den Klimawandel über eine Milliarde Euro ausgeben mussten, und das wird ganz sicher noch zunehmen.
In der Tundra gibt es zum Teil Krater, die bis zu 80 oder 90 Meter tief sind.
Durch das Tauen des Bodens wird auch Methangas freigesetzt. Was bedeutet das für die Umwelt?
Durch das Methan kann unter dem Boden ein Überdruck, eine Art Blase entstehen. Wenn der Druck gross genug wird, kommt es zu einer gewaltigen Explosion. In der Tundra gibt es zum Teil Krater, die bis zu 80 oder 90 Meter tief sind. Darüber, dass das mit dem Auftauen des Permafrosts zusammenhängt, sind sich alle einig. Aber russische Wissenschaftler streiten noch darüber, wie stark das Auftauen durch den Klimawandel verursacht ist, oder ob es eher ein Wetterphänomen über hundert Jahre ist.
DasTempo für die Entwicklung von Alternativenergien wird sich erst ändern, wenn die Ölförderung unrentabel wird.
Mit dem Boden tauen auch Bakterien und Viren wieder auf. Das hat sich schon vor drei Jahren bei einem Ausbruch einer Milzbrandepidemie gezeigt. Man hielt die Krankheit für ausgerottet. Sie hat ganze Rentierherden vernichtet. Die Tiere sind die Existenzgrundlage der sibirischen Einwohner.
Wie reagiert die Politik auf dieses Phänomen?
Lange Zeit wurde das Problem verleugnet. Aber jetzt kann man es nicht mehr leugnen. Ich habe mit Forschern gesprochen, unter anderen mit einem vom WWF. Der sagt, im Kreml seien Klimawandel und alternative Energien nun durchaus ein Thema. Einige Forscher an staatlichen Universitäten sind viel skeptischer. Sie glauben, dass alles zu spät kommt. Russland wird weiterhin in grossen Mengen Öl fördern. Es gibt zwar Projekte für Wind und Sonnenenergie. Doch ihr Anteil an der Energieproduktion liegt im Promillebereich. Das Tempo für die Entwicklung von Alternativenergien wird sich erst ändern, wenn die Ölförderung unrentabel wird, wenn die Schäden durch den Klimawandel teurer werden als das, was reinkommt.
Das Gespräch führte Janis Fahrländer.