Wo ein Wille ist, blockiert manchmal ein grosser Geländewagen den Weg – ein Bild für die Wahlen in Bulgarien. Offensichtlich möchten viele Bulgarinnen und Bulgaren ein anderes, besser funktionierendes Land, offensichtlich weiss aber niemand, wie das gehen könnte.
Der Geländewagen gehört Regierungschef Bojko Borissow. Er ist damit in letzter Zeit durchs Land getourt und hat viel versprochen: neue Strassen, mehr Geld. Seine Partei – ideologisch kaum zu etikettieren – hat die Wahlen gewonnen, jeder und jede Vierte stimmte für Borissows Leute.
Gewonnen und gleichzeitig verloren
Seine Partei hat die Wahlen aber auch verloren, über 20 Parlamentssitze sind ihr abhandengekommen, ihre bisherigen politischen Partner ebenfalls. Das heisst: Borissow wird nicht weiterregieren können wie bisher. Wahrscheinlich wird niemand Bulgarien regieren können, weil niemand dominiert.
Am späten Sonntagabend stellte Borissow ein Video ins Internet, in dem er vor seinem Geländewagen steht und unfreiwillig präzis die Lage erklärt: «Ich bin froh, dass so viele neue Parteien ins Parlament gewählt worden sind, ich bin es nämlich leid, allein die ganze Verantwortung zu tragen.» Der nächste Satz, gesagt für die Neugewählten: «Ihr werdet nicht zurechtkommen, ihr habt keine Erfahrung, ihr habt keine Leute.» Es kann gut sein, dass Bulgarien im Herbst noch einmal wählen muss.
Sind diese Wahlen der Anfang einer Veränderung, ein Aufbruch? Die vergangenen drei Jahre waren sogar für bulgarische Verhältnisse – das Land gilt als das korrupteste und ärmste der EU – skandalös: Politiker der grossen Parteien und andere Mächtige kauften sich Luxuswohnungen weit unter Marktwert, einer davon war der Chef der Antikorruptionsbehörde. Staatliche Sicherheitsleute bewachten private Oligarchen und vertrieben für sie Menschen von öffentlichen Stränden. Und so weiter.
Erstaunlicher Erfolg von Borissow
Letzten Sommer demonstrierten Zehntausende gegen Korruption im Allgemeinen und die Regierung im Besonderen. So gesehen ist es erstaunlich, dass die Partei von Regierungschef Borissow immer noch die stärkste im Land ist. Und so gesehen ist es einleuchtend, dass jetzt mehrere Parteien Platz im Parlament bekommen, die Bulgariens Politik und Wirtschaft sauberer gestalten wollen.
Da ist etwa der exzentrische Musiker und TV-Moderator Slawi Trifonow. Er ist wohl die neue Nummer zwei in der Gunst des Wahlvolks. Sein politisches Vorbild ist die Schweiz. Interviews gibt er seit Jahren nur Schweizer oder deutschen Journalistinnen. Da er einen eigenen Fernsehkanal hat, ist ihm das bulgarische Publikum trotzdem sicher.
Auch die Neuen haben keine Lösung
Nicht so sicher ist hingegen, ob diese Art der Kommunikation Ausdruck eines nachvollziehbaren Verständnisses von Demokratie ist. Auch Trifonows Programm ist nicht über Zweifel erhaben: Er sagt, er wolle nur in die Politik, um sechs konkrete Ziele zu verwirklichen. Zwei davon sind ein neues Wahlsystem und die obligatorische Teilnahme an Wahlen. Wie das Bulgarien zum Besseren verändern soll, ist zumindest schleierhaft.
Viele Menschen dürften Trifonow gewählt haben, weil er als integer gilt. Dass er Bulgariens Probleme löst, ist aber unwahrscheinlich. Viele andere Menschen sehen das auch so – und wählen immer noch die etablierten Mächtigen, die vor den Wahlen Geld und Geschenke verteilen. Und so bleibt die unbefriedigende Erkenntnis: Bulgarien wird nach diesen Wahlen wohl nicht besser regiert. Und wohl auch nach den nächsten nicht. Obwohl der Wille da ist.