Im Kampf um die Stimmen der Wählerinnen und Wähler fehlt kein möglicher Schlagabtausch: Der Bericht von Sonderermittler Robert K. Hur ist für den amtierenden Präsidenten eigentlich vernichtend.
Bericht des US-Sonderermittlers Robert K. Hur:
Im Grunde ging es darum, ob Joe Biden widerrechtlich geheime Regierungsunterlagen bei sich aufbewahrt hat. In dieser Angelegenheit muss er aber nicht mit juristischen Konsequenzen rechnen, im Gegensatz zu seinem Vorgänger Donald Trump, den wegen der Aufbewahrung geheimer Akten ein Prozess erwartet. Trump hat dies denn auch sofort ausgeschlachtet: Er wirft der Justiz vor, mit zweierlei Massstäben zu messen. In einer Stellungnahme behauptet er, Bidens Fall sei schwerwiegender und «ungeheuerlich kriminell».
Hurs Bericht bescheinigt dem amtierenden Präsidenten aber, ein «wohlmeinender älterer Mann mit einem schlechten Gedächtnis» zu sein. Sein Gedächtnis habe «erhebliche Einschränkungen» gezeigt und sei teilweise «verschwommen gewesen».
«Parteipolitisch motiviert»
Es sei jedoch schwierig, aufgrund dieses Berichts zu beurteilen, ob Biden als Präsident noch tragbar sei, meint Christian Lammert auf Nachfrage von SRF dazu. Er ist US-Experte der Freien Universität Berlin und beobachtet die US-Politik genau. «Hier stecken auch der Wahlkampf und parteipolitische Motive dahinter», so Lammert.
Die Einsetzung des Sonderermittlers sollte damals von den Verfahren, die gegen Trump laufen, ablenken. «Man hat bei Biden nichts gefunden, und deshalb versucht man es nun auf dieser Ebene.» Es könnte sich auch nur um ein politisches Manöver der Republikaner handeln.
Er relativiert: Solche Verwechslungen könnten Politikern passieren, auch bei Trump liessen sich solche Verfehlungen nachweisen. «Trump hat behauptet, Nikki Haley sei zuständig für die Sicherheit des Kongresses gewesen, als der Sturm aufs Kapitol stattfand, und er hat auch mal gesagt, er trete gegen Obama an.» Beides ist nachweislich falsch.
Und der deutsche Kanzler Scholz habe Erinnerungslücken geltend gemacht, als es um eine mögliche politische Einflussnahme seinerseits ging, die vielleicht illegal war. «Trotzdem muss das untersucht werden; Biden wird entsprechende medizinische Tests vorlegen müssen, um zu belegen, dass er noch amtsfähig ist.»
Eingebettet in ein Netzwerk
«Es wäre natürlich nicht gut, wenn ein Präsident der USA nicht mehr im Vollbesitz seiner mentalen Kapazitäten ist», hält Lammert fest, doch als Präsident sei er in eine grosse Administration eingebettet. Man müsse davon ausgehen, so Lammert – falls Biden wirklich nicht mehr amtsfähig sein sollte – dass auch Widerstand aus der Administration kommt. Allerdings sagt der Experte auch: «Ob dieser Widerstand ausgerechnet im Wahlkampf kommt, bezweifle ich.»
Plan B der Demokraten?
Im Hintergrund werde bei den Demokraten der USA auch überlegt, ob es eine Alternative zu Biden gebe. Man müsse auch beachten, was Biden und seine Regierung bis jetzt erreicht hätten. «Man kann nicht sagen, dass die US-Regierung führungslos ist.»
Was den Plan B betreffe, sei die Frage, ob die Demokraten in den USA auf Vizepräsidentin Kamala Harris setzen oder ob sie allenfalls einen anderen Kandidaten lancieren würden. «Doch so lange das nicht geklärt ist und solange Biden sagt, er mache weiter, ist es schwierig, ihn abzusägen. Das könnte die Wahlaussichten im November massiv verschlechtern.»