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Grossbritannien: das lange Warten
Aus Rendez-vous vom 18.06.2024. Bild: Keystone/ANDY RAIN
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Wahlen in Grossbritannien Die Zeichen stehen auf Veränderung

Im Juli wählen die Briten ein neues Parlament und entscheiden, wer das Vereinigte Königreich regiert. Nach 14 Jahren unter einer konservativen Regierung scheint ein Wechsel wahrscheinlich. Die Briten sind müde, in einem Land zu leben, in dem anscheinend nur noch wenig funktioniert.

«Wir bitten um Geduld, im Moment kann niemand ihren Anruf entgegennehmen», verkündet der Telefonbeantworter in Endlosschlaufe in vielen Praxen des staatlichen Gesundheitsdienstes. Egal, ob Bauchschmerzen oder Löcher in den Zähnen: Man wartet auf einen Termin. Tage. Wochen. Und gelegentlich Monate. Warten gehört zum britischen Alltag. Eine Zeitung berechnete kürzlich, dass die Britinnen und Briten im vergangenen Jahr allein bei der britischen Steuerverwaltung rund 800 Jahre in telefonischen Warteschlaufen verbracht haben.

Die Gefahr, dass die Politik nicht mehr die gemeinsame Suche nach dem Möglichen ist, sondern Populismus die Debatte dominiert, ist gross.
Autor: Lord Peter Hennessy Historiker

Es sind nicht nur die Wartezeiten, die für wachsenden Ärger sorgen, sondern ebenso die Sorge, nach einer schweren Erkrankung nicht die notwendige Behandlung zu erhalten. Umfragen wie jene des Meinungsforschungsinstituts JLP zeigen, dass viele Britinnen und Briten den Eindruck haben, dass es im Vereinigten Königreich nur noch abwärtsgeht. Die Züge sind zu spät, die Flüsse mit Abwässern kontaminiert, und die Vorteile des Brexits haben sich bis heute auch nicht wirklich gezeigt.  Das ist auch ein Grund, weshalb der Slogan «Change» der Labour-Partei so gut ankommt.

Umfragen können den Ausgang einer Wahl nie exakt voraussagen. Aber sie geben einen Hinweis, wo der Schuh drückt. Die Leute wollen, dass es wieder aufwärtsgeht. Die Zumutungen des Alltags schlagen ihnen aufs Gemüt.

Grundgefühl des Pessimismus

Für das Versagen mit dem Finger auf eine bestimmte Person zu zeigen oder den Brexit dafür verantwortlich zu machen, würde zu kurz greifen. Der Niedergang sei einem Gemisch geschuldet aus schlechter Regierungsführung, Vernachlässigung, Krisen und Ereignissen, die zu einem Grundgefühl des Pessimismus geführt hätten, formulierte der Historiker Lord Peter Hennessy kürzlich in einem Essay für die BBC: «Seit der Finanzkrise 2008 verbreitet sich immer mehr die Grundstimmung, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der nichts mehr funktioniert. Diese führte zu einer Politik des Pessimismus. Der Brexit brachte zudem Hass und Groll in unsere Gesellschaft. Die Gefahr, dass die Politik nicht mehr die gemeinsame Suche nach dem Möglichen ist, sondern Populismus die Debatte dominiert, ist gross.» 

Mann im Anzug geht in einer städtischen Umgebung in der Nähe eines Autos spazieren.
Legende: Der britische Premier, Rishi Sunak, ist im Wahlkampf-Modus. Für ihn könnte es eng werden. Reuters/Stefan Rousseau

Die jüngsten Umfragen des bekannten Politologen John Curtice zeigen zudem, dass die Politikerinnen und Politiker im Vereinigten Königreich ihr wichtigstes Kapital verloren haben, das Vertrauen. «45 Prozent der Britinnen und Briten, die wir befragten, sagten, dass sie überzeugt sind, dass die Parteien nicht das Wohl des Landes im Auge haben, sondern ihre eigenen Interessen. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung glaubt, dass Politiker nicht die Wahrheit sagen, wenn ihnen Fehler passiert sind. Und so viele wie nie zuvor zweifeln, ob die Politik die anstehenden Probleme wirklich lösen kann.»

Auch Veränderung braucht Zeit 

Und das werfe ein ziemlich schlechtes Licht auf den politischen Betrieb in Westminster, sagt der Professor. Optimismus sieht anders aus. Besonders in einem Wahljahr. Und eines lässt sich bereits heute sagen: Egal, wer die Wahlen in knapp drei Wochen gewinnt, «Change» – Veränderung – benötigt Zeit. Bis die Zumutungen des Alltags behoben sind, werden die Britinnen und Briten also einmal mehr – ein bisschen warten müssen.

Rendez-Vous, 18.06.2024, 12:30 Uhr

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