Das hatten die Tories in ihren kühnsten Träumen vor fünf Jahren nicht erwartet. Nach den letzten Wahlen, am 12. Dezember 2019, servierte ihnen die BBC zum Frühstück einen erdrutschartigen Sieg. Mit dem Slogan «Take back Control» und dem Versprechen, den Brexit endlich umzusetzen, hatte Premierminister Johnson damals selbst Stimmen von Britinnen und Briten gewonnen, die bisher Labour gewählt hatten.
Es sind Menschen im vernachlässigten Norden Englands, denen die Kontrolle über ihren Alltag längst entglitten war, und die von der bisherigen Politik bitter enttäuscht waren.
Befreit von den Zwängen aus Brüssel, werden wir unseren Platz in der Welt finden.
Der Brexit hatte das Land, das Parlament und selbst Familien in den vergangenen Monaten tief gespalten. Die Briten wünschten sich ein Ende dieses Dramas. Und Boris Johnson hat sein Versprechen gehalten: In der Silvesternacht 2019 verliess das Vereinigte Königreich formell die Europäische Union nach 47 Jahren Mitgliedschaft.
Und der Gründer der Brexit-Partei, Nigel Farage, versprach seinen Anhängern den Beginn eines neuen Zeitalters: «Befreit von den Zwängen aus Brüssel, werden wir unseren Platz in der Welt finden».
Und dann kam Corona
Doch lange währte die Freude nicht. Zwei Tage später war in Grossbritannien der erste bestätigte Fall von Covid-19 aufgetreten. Und im März verkündete Johnson der Bevölkerung die legendäre Instruktion: «Bleiben Sie zu Hause. Gehen Sie nicht ins Büro.» Selbstredend waren Feste im Büro mitgemeint.
Wie eine dieser Antriebsraketen habe ich meine Mission erfüllt. Ich sinke nun langsam vom Himmel und werde irgendwo in weiten Fernen in den Pazifik fallen.
Ein Jahr später wurde Johnson von der Polizei zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er in der Downing Street gegen seine Lockdown-Vorschriften verstossen hatte. Der Partygate-Skandal führte zu seinem Rücktritt. «Wie eine dieser Antriebsraketen habe ich meine Mission erfüllt. Ich sinke nun langsam vom Himmel und werde irgendwo in weiten Fernen in den Pazifik fallen», so Johnsons Abschiedsworte.
Doch was danach kam, war kein Wiederaufstieg, sondern ein weiterer Absturz. Seine Nachfolgerin manövrierte die britische Wirtschaft mit einer riskanten Steuerpolitik, die auf massiven Schulden basierte, innerhalb von 21 Tagen an den Rand des Abgrunds. Nach 47 Tagen zogen die Tories die Notbremse und Liz Truss musste den Hut nehmen.
Die grossen Versprechen
Ihr folgte Premierminister Nummer drei. Die 190'000 konservativen Parteimitglieder wählten den früheren Schatzkanzler Rishi Sunak zum Nachfolger von Liz Truss. «Es ist das grösste Privileg meines Lebens, der Partei zu dienen, die ich liebe, und dem Land, dem ich so viel schulde.»
Der Ökonom verfügt zwar nicht über das Charisma von Johnson, dafür über Dossierkenntnis. Mit der nötigen Ernsthaftigkeit versuchte er, den Scherbenhaufen seiner Vorgänger zu kitten und versprach den Britinnen und Briten fünf Dinge: Wirtschaftswachstum, weniger Wartezeiten im Gesundheitswesen, Halbierung der Inflation, Reduktion der Schulden und der irregulären Einwanderung.
Ich habe heute den König um Erlaubnis gebeten, das Parlament aufzulösen.
Erfüllt hat sich das wenigste. Und noch schlimmer: Die Britinnen und Briten hören ihm nicht mehr zu. Die Umfragewerte der Regierungspartei sind historisch tief. Aus dem Slogan «Take back Control» wurde ein fortschreitender Kontrollverlust für die Regierungspartei. Deshalb zog nun Rishi Sunak die Notbremse und wählte die Vorwärtsstrategie. «Ich habe heute den König um Erlaubnis gebeten, das Parlament aufzulösen. Am 4. Juli sollen die Britinnen und Briten wählen», so Sunak am Mittwoch.
Was vor gut vier Jahren mit triumphalem Sieg begann, endete damit buchstäblich im strömenden Regen.