Besonders an der Konstellation ist vor allem Francia Márquez. Mit ihr könnte erstmals in Kolumbien eine schwarze Frau in ein so hohes Amt kommen. An einer Wahlkampfveranstaltung in der Hauptstadt Bogotá sagt die 40-Jährige: «Wir Schwarzen gehören zu einer Gemeinschaft, die immer schon ausgeschlossen wurde. Es geht aber um mehr als nur um die Farbe unserer Haut. Es geht um die Elite, die glaubt, dass sie allen überlegen ist.»
Francia Márquez ruft die Randgruppen des Landes dazu auf, sich zusammenzuschliessen: Indigene, Schwarze und die sogenannten «Nadies», die «Nobodies», die nie Zugang zur Politik hatten. Der Moment sei gekommen, um vom Widerstand, zur Macht überzugehen.
Márquez war die Überraschungssiegerin bei den Vorwahlen vor zwei Monaten. Sie erhielt innerhalb des Linksbündnisses am zweitmeisten Stimmen nach Spitzenkandidat Gustavo Petro. Daraufhin machte er sie zu seiner Vizepräsidentschaftskandidatin. Das Duo führt mit Abstand alle Meinungsumfragen an.
Der Aufstieg von ganz unten
Bei einem Sieg am Sonntag wäre Francia Márquez die erste schwarze Frau an der Spitze der Exekutive in Kolumbien. Dabei kommt sie von ganz unten. Die Umweltaktivistin hat ihr erstes Kind mit 16 Jahren zur Welt gebracht. Danach putzte sie Häuser, um die Rechnungen zu bezahlen. Sie ist in Armut aufgewachsen, wie 40 Prozent der Kolumbianerinnen und Kolumbianer.
Afrokolumbianer machen fast 10 Prozent der 50 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner Kolumbiens aus. In Wirtschaft und Politik sind sie stark unterrepräsentiert. Francia Márquez kritisiert die soziale Ungleichheit im Land, den Rassismus und Klassismus.
Die Kandidatur von Márquez bedeutet einen wichtigen Fortschritt. Sie hat den Rassismus als Thema eingebracht.
Sie hält Kolumbien einen Spiegel vor. Und das ist unbequem, sagt die Soziologieprofessorin der Universität Cali, Aura Hurtado zu SRF News: «In Kolumbien gab es nie Gesetze zur Rassentrennung, wie in den Vereinigten Staaten oder in Südafrika. Darum gehen die Leute davon aus, dass es hier keinen Rassismus gibt. Die Kandidatur von Márquez bedeutet einen wichtigen Fortschritt. Sie hat den Rassismus als Thema eingebracht.»
Die Frage ist, ob das ganze Land für Francia Márquez bereit ist. Gegnerinnen und Gegner kritisieren, dass sie noch nie ein politisches Amt innehatte. Und sie fragen sich, ob sie in der Lage wäre, wichtige Ministerien zu leiten.
Rassistische Vorurteile – und die Replik
Ihre extremen Widersacher nehmen sie direkt mit rassistischen Vorurteilen ins Visier: Sie verspotten Márquez in den sozialen Medien als «Affe» und sagen, sie solle nicht Politikerin in Kolumbien werden, sondern eine Stadt in Afrika leiten.
Kürzlich reagierte Francia Márquez auf diese primitiven Angriffe. Sie erklärte, ein Teil dessen, was die Elite beunruhige, sei, dass eine schwarze Frau, die als Dienstmädchen in ihren Häusern gearbeitet habe, heute ihre Vizepräsidentin sein könnte.