In Libyen wird trotz andauernder Unruhen ein neues Parlament gewählt. Dabei bewerben sich mehr als 1600 Kandidaten um einen der 200 Sitze im Parlament. Es ist die zweite Wahl eines Kongresses seit dem Sturz von Diktator Muammar al-Gaddafi 2011.
In rund 4000 Wahllokalen können rund 1,5 Millionen registrierte Wähler ihre Stimme abgeben. Das sind deutlich weniger als sich noch bei der letzten Wahl. Damals hatten sich 2,7 Millionen Berechtigte registrieren lassen.
Viele Libyer hoffen, dass damit eine neue Phase im Übergang zur Demokratie beginnt. Das bisherige Parlament war von der Muslimbruderschaft dominiert. Um künftig politische Spannungen zu reduzieren, treten nur unabhängige Kandidaten an.
Demokratie lässt auf sich warten
Im Land selbst sind die Zustände desaströs. Verfeindete Milizen, machtbesessene Clans und schwache Politiker – fast drei Jahre nach dem Sturz und dem Tod des Diktators Muammar al-Gaddafi ist von der einstigen Euphorie nichts mehr übrig.
Nach Einschätzung von Experten ist es bisher nicht gelungen, aus dem Land eine Demokratie zu machen. Eigentlich sollte bereits vor einem Jahr eine neue, demokratisch legitimierte Machtstruktur installiert sein. Aber selbst auf einen Verfassungsentwurf, über den bei einem Referendum abgestimmt werden könnte, warten die Libyer bislang vergeblich.
Clans mit unterschiedlichen Interessen
Es sind vor allem Machtkämpfe der einflussreichen Stämme und deren Milizen, die den Demokratisierungsprozess in dem Land behindern. Die wichtigsten bewaffneten Gruppen kommen aus den Städten Al-Sintan und Misrata.
In Al-Sintan wird derzeit Gaddafi-Sohn Saif al-Islam gefangen gehalten. Die dortigen Machthaber weigern sich, ihn an den internationalen Strafgerichtshof in Den Haag oder auch nur an Tripolis auszuliefern, wo ihm derzeit der Prozess gemacht wird. Das Misstrauen gegenüber den Hauptstadtbehörden sitzt tief.
Mächtig sind auch die Brigaden aus der «Heldenstadt» Misrata, in der einst der tote Gaddafi in einem Kühlhaus ausgestellt worden war, bevor er in der Wüste begraben wurde. Milizen der Stadt sehen sich als Schutzmacht gegen Kräfte des alten Regimes. Zugleich unterstützen sie das von Islamisten dominierte Parlament.
Ausländische Firmen verlassen das Land
Auch die Wirtschaft des Landes kommt nicht von der Stelle. Obwohl Libyen zu den wichtigsten Erdölländern der Welt gehört, herrscht inzwischen im Land eine Benzinknappheit. Libyer berichten über lange Schlangen an den Tankstellen.
Ausländische Unternehmen ziehen sich aufgrund der unsicheren Lage zurück. Der deutsche Öl- und Gaskonzern Wintershall – der seit mehr als 60 Jahren in Libyen wirtschaftlich aktiv ist – erklärt etwa, dass in den vergangenen Wochen die Präsenz vor Ort auf eine «minimale Besetzung reduziert» wurde. Die Onshore-Förderung habe man bereits vor einem Jahr einstellen müssen.