Es ist fiebrig heiss, schwül und dunkel in einem Seitensträsschen des Quartiers Ampang in Kuala Lumpur. Reihen von weissen Plastikstühlen stehen für das Publikum bereit. «Das ist die Mutter aller Wahlen!» dröhnt es aus Lautsprechern. Auf der Bühne steht ein Politiker der Oppositionskoalition Pakatan Harapan, auf Deutsch «Allianz der Hoffnung». Und Hoffnung liegt in der Luft. Hoffnung auf Veränderung. Wir sind in einer Hochburg der Opposition.
Auf der anderen Strassenseite sitzt Hausfrau Nursiah. «Wir trauen uns kaum noch zu sagen, dass wir aus Malaysia sind», sagt sie, «wegen all den skandalösen Dingen, die der Premierminister getan hat. Er ist kein guter Führer.»
Nebenan sitzt Eddie Wu an einem grünen Plastiktisch. «Wir müssen die Regierung auswechseln», sagt er. «Die Korruption ist schlimm hier. Das Land ist in einer ganz schlechten Verfassung.» Junge Malaysier wie er leiden unter der schwachen Wirtschaft. Er sieht den Schlüssel für Veränderung in derjenigen Politikerin, die jetzt die Bühne betritt: Nurul Izzah, die Parlamentarierin und Tochter von Oppositionsführer Anwar Ibrahim.
Viele Malaysier wollen eine saubere Regierung.
Die Menge feiert Nurul Izzah wie einen Star. Nach einer schwungvollen Rede mischt sie sich unters Volk. Selfies hier, Selfies da. Im Hintergrund prangt auf Plakaten übergross ihr Vater. Seit zwanzig Jahren mischt sie in der Politik Malaysias mit. «Viele Malaysier wollen eine saubere Regierung. Es ist wirklich traurig, dass wir hier eine Demokratie haben, welche den amtierenden Premier stärkt und ihm erlaubt, den Reichtum unserer Nation zu stehlen», sagt Nurul Izzah.
Der Premierminister, das ist Najib Razak. Der Diebstahl, das ist der 1MDB-Skandal, der grösste Korruptionsskandal, den Land je gesehen hat. Im Zentrum steht Premierminister Najib. Doch mehr davon später.
Einer der grössten Korruptionsfälle aller Zeiten
Malaysia wählt – der Wahlkampf ist spannend, der Ausgang unklar wie noch nie. Doch klar ist: Etwas ist faul im Staate Malaysia. Malaysia, bis zur Asienkrise 1997 einer der Tigerstaaten Asiens, galt lange als Musterstaat Südostasiens. Das Land hat heute das dritthöchste Bruttoinlandprodukt pro Kopf – nach Brunei und Singapur. Doch die Lebenskosten steigen und eine neue Mehrwertsteuer hat die Menschen wütend gemacht. Viele fragen sich: Wofür zahlen wir eigentlich Steuern?
Denn spätestens seit dem 1MDB-Skandel ist der Lack ab. Der amtierende Premierminister Najib soll sich beim Staatsfonds nach Gutdünken bedient haben: Teure Kunst, Juwelen, Häuser, eine Luxusyacht und sogar der Hollywood-Film «The Wolf of Wall Street» sollen laut Untersuchungen der US-Justiz mit 1MDB-Geldern bezahlt worden sein.
Blockierte Gelder in der Schweiz
Auch eine Zahlung von 681 Millionen US-Dollar auf ein privates Konto von Premierminister Najib ist dokumentiert. Najib selbst sagt, es sei eine Spende aus Saudi-Arabien gewesen sein. Bis heute sind all diese Korruptionsfälle nicht endgültig aufgeklärt – die Regierung hält die Bücher verschlossen.
International ermitteln zehn Länder wegen Korruption – auch die Schweiz, wo zurzeit noch 95 Millionen Schweizer Franken liegen. Der Bund hat die Gelder eingefroren.
Sicher ist: Falls die Opposition gewinnen sollte, dann wird auch der Korruptionsskandal um 1MDB in Malaysia gründlich untersucht werden. Für Premierminister Najib geht es bei diesen Wahlen also nicht nur ums politische Überleben, sondern auch darum, eine mögliche Gefängnisstrafe zu umgehen.
Seit über 60 Jahren an der Macht
Am 9. Mai wird nun das Parlament mit 222 Sitzen neu besetzt. Wer die absolute Mehrheit der Sitze erhält, kann die Regierung bestimmen. Mit zwei Dritteln der Sitze, mit einer so genannten Super-Mehrheit, kann eine Koalition im Alleingang Gesetze erlassen.
Es ist erst die 14. Wahl seit der Unabhängigkeit. Alle Wahlen hat bisher Umno gewonnen, die United Malays National Organisation, die zusammen mit anderen Parteien als Koalition Barisan Nasional (BN) regiert. Umno hat bisher auch alle sechs Premierminister gestellt. Seit 1957 hatte der Barisan Nasional eigentlich immer eine Super-Mehrheit. Noch 2004 kontrollierte BN 90 Prozent der Sitze. Bei der letzten Wahl von 2013 noch 60 Prozent. Bei der Wahl am 9. Mai könnte die ewige Regierungspartei nun erstmals verlieren.
Privilegien für den «Sohn des Landes»
Die Hälfte der Bevölkerung sind Malaien, etwa ein Viertel sind Chinesen und je ein Zehntel Inder und indigene Völker. Sie entscheiden sich oft eher nach Ethnie und persönlichen Beziehungen als nach Wahlkampfthemen. Bisher hat die Regierungspartei hauptsächlich auf dem Land die Stimmen der Malaien geholt, die Opposition in den Städten und bei den ethnischen Minderheiten.
Am reichsten sind bis heute die Chinesen, deren Vorfahren zur Kolonialzeit von den Briten ins Land geholt wurden. Nach der Unabhängigkeit hat die Regierungspartei über Jahrzehnte Malaien bevorzugt – wer ein «Bumiputera» ist, ein «Sohn des Landes», bekommt zum Beispiel viel höhere Zinssätze auf Einlagen in ein Sparkonto.
Im ländlichen Malaysia sind komplizierte und technische Themen wie der 1MDB-Skandal weit weg. Hier zählt, was greifbar ist. Die Regierungskoalition hat jahrzehntelang, tröpfchenweise geliefert. Da eine Brücke, dort ein Zustupf für die Familie. Die Malaien haben es der Regierungskoalition Barisan Nasional mit ihren Stimmen gedankt.
Eine Legende kehrt zurück
Das könnte sich nun ändern. Im Januar dieses Jahres hat Urgestein Mahathir Mohamad, 92 Jahre alt, angekündigt, für die Opposition anzutreten. Gegen UNMO, seine eigene ehemalige Partei, für welche er 22 Jahre lang als Premierminister amtiert hatte.
Mahathir ist eine Legende in Malaysia. Er gilt als Modernisierer des Landes und er hatte sich nach der Asien-Krise erfolgreich gegen die rigorosen Sparmassnahmen des Internationalen Währungsfonds gewehrt. Symbole wie der eigene Autobauer Proton oder die Petronas-Towers sind eindeutig das Vermächtnis Mahathirs. «Schau zum Fenster raus», sagt ein Taxifahrer aus dem Bundesstaat Sarawak. «Die Autobahnen, den Flughafen, die Petronas-Türme, das hat Mahathir gebaut». Klar sei auch er kein Unschuldslamm gewesen. Aber er habe gebaut. «Und Najib?», fragt er, «Nichts!».
Mit den Petronas Towers hatte sich Mahathir ein Denkmal gesetzt: 88 Stockwerke, 452 Meter hoch, damals das höchste Gebäude der Welt. Wie ungemein wichtig Mahathir für viele Malaysier ist, zeigt auch die Entscheidung des jetzigen Premierministers Najib, seinen eigenen Turm zu bauen: 118 Stockwerke, 630 Meter hoch. Der Turm ist zur Zeit im Bau. Viele in Kuala Lumpur belächeln den offensichtlichen Versuch Najibs, Mahathir wortwörtlich zu überragen.
Mahathir hat als starker, manchmal autoritärer Politiker massgeblich dazu beigetragen, Malaysia international bekannt zu machen. Er hat ein Malaysia mit Identität, Stolz und Selbsicherheit geschaffen. Daran erinnern sich bis heute viele wohlwollend – ein Grund, warum Mahathir damit an der Urne viele Stimmen holen konnte, die sonst an die Regierungskoalition Barisan Nasional gegangen wären. Vor allem aber könnte er Stimmen der Malaysischen Bevölkerungsmehrheit für die Opposition gewinnen – Stimmen, die historischerweise an die Regierungspartei gingen.
Dreckiger Wahlkampf
Zurzeit versucht die Regierung mit allen möglichen legitimen und illegitimen, legalen und illegalen Methoden einen Sieg der Opposition zu verhindern.
Sie hat die Wahl auf bewusst einen Mittwoch gelegt. Viele Malaysier, die an ihren Heimatorten wählen müssen, können somit nicht nach Hause. Sie hat die Wahlbezirke neu gezogen; ein neues Gesetz über «Fake News» definiert, um Kritiker zum Schweigen zu bringen. Nach einer neuen Regel der Wahlkommission vom 24. April darf ausser dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten kein Kandidat sein Gesitz auf auf Kampagnenmaterial drucken. Und so weiter.
Ich hoffe, die Sieger-Partei wird dieses Mal an Malaysier denken.
Der Sturz von Najib scheint kaum machbar – und doch, in den letzten Wochen hat die Oppositions-Koalition Parakan Harapan ein Momentum geschaffen. Die sozialen Medien sind voll von Aufrufen, zur Wahl zu gehen. Junge Malaysier, die sich gegenseitig helfen. In Singapur hat IKEA allen malaysischen Angestellten am 9. Mai freigegeben, damit sie wählen gehen können.
Die letzte Chance?
Nach ersten Wahlumfragen könnte die Opposition tatsächlich die Mehrheit der Stimmen erhalten. Ob es aber für eine Mehrheit der Sitze im Parlament reicht?
An den Wahlveranstaltungen ist man zuversichtlich. Die indischstämmige Taranya ist Ingenieurin und geht an die Wahlveranstaltungen, um sich selbst ein Bild zu machen. Die Medien, sagt sie, seien alle von der Regierung kontrolliert. «Es ist so offensichtlich dass falsche Dinge passieren, und wir kriegen keine Erklärungen dazu», sagt sie. «Ich hoffe, die Sieger-Partei wird dieses Mal an Malaysier denken und sich nicht einfach die eigenen Taschen füllen.»
Zanirun Baba hat seit fast zwei Jahren Basisarbeit für die Opposition geleistet. «Diese Wahl ist unsere einzige Hoffung für Malaysia,» sagt er. «Versagen wir, werden die Malaysier für lange, lange Zeit leiden müssen.» Er schätzt die Chancen für einen Sieg auf 70 oder gar 80 Prozent. «Es geht einzig um Najib,» sagt er. Alles andere sei sekundär. Es könnte – vor dem Hintergrund des Aufstiegs der totalitären Herrscher in Südostasien, und der vollständigen Erosion der Gewaltenteilung in Malaysia – tatsächlich die letzte Chance sein.