Mehr als 19 Millionen Menschen in Taiwan sind an diesem Samstag aufgerufen, eine neue Regierung zu wählen. Das Thema China bestimme auch dieses Jahr die Wahlen – wie bei jeden Wahlkampf in Taiwan, sagt Klaus Bardenhagen, freier Journalist in Taipei.
SRF News: Wie gross ist das Thema China im taiwanesischen Wahlkampf?
Klaus Bardenhagen: Das Thema ist auch dieses Jahr gross. Die Volksrepublik China, zu der Taiwan auch wirtschaftliche Beziehungen hat, will Taiwan unter Kontrolle bringen. Taiwan will dies nicht. Es muss aber irgendwie mit dem riesigen Nachbarn umgehen.
Alle wichtigen Parteien sind sich einig, die Eigenständigkeit von Taiwan zu erhalten.
Die taiwanische Regierungspartei will das eigene Land beschützen. Ihr Motto lautet: Frieden durch militärische Stärke. Die Oppositionspartei in Taiwan will genau das Gegenteil: Frieden durch Gespräche. Alle wichtigen Parteien sind sich aber einig, die Eigenständigkeit von Taiwan zu erhalten.
Zu reden gibt in Taiwan gerade eine Falschmeldung der Behörden über den Abschuss einer chinesischen Rakete über Taiwan – das hat sich nun aber lediglich als Satellitenstart herausgestellt. Inwiefern spiegeln solche Vorkommnisse auch die aktuelle Nervosität in Taiwan wider?
Für einen kurzen Moment schien nach dieser Warnmeldung alles möglich. Relativ schnell war aber klar, dass jetzt nicht die Invasion hier startet. Aber hat dann vielleicht China zu einer noch nie dagewesenen Provokationsmassnahme gegriffen? Für die Herausgabe dieser Meldung war das Verteidigungsministerium zuständig. Dieses hat sich eine falsche Übersetzung in der englischen Version geleistet. Wie kann das dem Verteidigungsministerium passieren? Diese Frage könnte noch einige Tage den Wahlkampf mitprägen.
Inwiefern spürt man in Taiwan «die chinesische Bedrohung»?
Man spürt zunächst mal diese ganz offensichtliche Einflussnahme, beispielsweise über Aktionen, die man als Bedrohung werten könnte: Flugzeuge, die sich fast täglich Taiwans Luftraum nähern, dann wieder abdrehen und bei denen nicht klar ist, ob es sich um eine Aggression handelt. Angebliche chinesische Wetterballons über der Insel, die registriert wurden und an die Situation über den USA vor einem Jahr erinnern. Auch auf wirtschaftlichem Felde ist eine chinesische Einflussnahme spürbar. Zudem wird ganz unverhohlen mit Konsequenzen gedroht, wenn man aus Pekings Sicht die falsche Partei – die aktuelle Regierungspartei – wählen sollte.
Ein anderes Problem waren auch schon sogenannte Fake-News-Kampagnen, wo etwa chinesische Social-Media-Accounts Falschnachrichten verbreiten und die Bevölkerung damit zu beeinflussen versuchen.
Diese gibt es nach wie vor. Es lässt sich aber mittlerweile immer schwieriger nachweisen, dass chinesische Akteure hinter den fragwürdigen Meldungen stecken. Dennoch: Durch das Teilen gewisser Inhalte befeuert man von chinesischer Seite aus eine Skepsis an der Regierung.
Wie sehr versucht China noch mit niederschwelligen Massnahmen die taiwanesische Bevölkerung auf seine Seite zu ziehen oder setzt Peking mehr und mehr auf Repression?
China würde es natürlich nach wie vor bevorzugen, dass sich Taiwanerinnen und Taiwaner freiwillig ohne Gegenwehr Peking fügen und das Vertrauen in ihre Regierung verlieren. Dies wird aber immer unwahrscheinlicher. Denn einerseits gewöhnt sich Taiwans Bevölkerung immer mehr an die Selbstbestimmung. Andererseits erscheint die Volksrepublik unter Xi Jinping mit den wirtschaftlichen Problemen und ihrem politischen Auftreten vielen Menschen in Taiwan immer unattraktiver.
Das Gespräch führte Nicolà Bär.