Tsai Ing-wens deutlicher Wahlsieg ist nicht zuletzt ein Signal in Richtung Peking. Die Wählerinnen und Wähler Taiwans haben sich für die china-kritische Präsidentin und ihre Politik entschieden. Einer Annäherung an China erteilen sie damit eine Abfuhr.
Dabei galt Tsais Wiederwahl noch vor einem Jahr alles andere als sicher. Viele ihrer Unterstützer rechneten damit, dass Tsai Ing-wen womöglich keine zweite Amtszeit erhalten würde. Kritik und starken Widerstand gab es etwa bei ihrer Rentenreform für Beamte und der umstrittenen Arbeitsmarktreform.
Nur 15 Länder anerkennen Taiwan
Mit der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare legte sie sich zudem mit konservativen Wählern und Religionsgruppen an. Die Beziehungen zwischen Taipeh und Peking erreichten in ihrer Amtszeit einen Tiefpunkt.
Chinas Regierung gelang es ausserdem mehrere mit Taiwan verbündete Länder für sich zu gewinnen. Derzeit anerkennen gerade Mal 15 Nationen Taiwan diplomatisch.
Unerwartete Hilfe gab es denn auch ausgerechnet von China. Xi Jinpings Aussage, dass Taiwan wiedervereint werden müsse, verschreckte viele Taiwaner. Erst recht unter dem Modell «Ein Land, zwei Systeme» – jener Formel mit der Hongkong regiert wird. Auch die monatelangen Proteste gegen Chinas Einfluss in Hongkong dürften Tsai genützt haben.
Als die Oppositionspartei Kuomintang für die Parlamentswahlen mehrere Kandidaten mit sehr engen Beziehungen zu China auf die Liste setzte, erschreckte die Partei weitere Wähler.
Peking bevorzugte Tsais Gegner
Tsais Herausforderer, Han Kuo-yu, zog mit seiner saloppen Art und frechen Sprüchen die Aufmerksamkeit der Medien auf sich. Die Mehrheit der Wähler konnte er damit offensichtlich nicht begeistern. Die chinesische Regierung hätte Han Kuo-yu als Präsidenten bevorzugt. Nun muss sie mit Tsai Ing-wen vorliebnehmen.
Zwar wird die china-kritische Tsai nicht die Unabhängigkeit ausrufen, sie anerkennt aber auch nicht den sogenannten «Konsens von 1992» an – nach diesem gibt es nur ein China, dass beide Seiten aber unterschiedlich interpretieren dürfen.
Die Beziehungen zwischen Taipeh und Peking werden in den nächsten vier Jahren wohl weiterhin kühl bleiben.