Nie seit 1994 konnten die Bürgerinnen und Bürger in Weissrussland an einer freien und fairen Präsidentschaftswahl teilnehmen. Diese Tradition wird sich auch diesmal fortsetzen. Denn Präsident Alexander Lukaschenko will sich zum sechsten Mal in Folge im Amt bestätigen lassen und greift dazu auf die Leiterin der Wahlkommission zurück.
Lidja Jermoschina ist mit 24 Jahren fast ebenso lange im Dienst wie Lukaschenko. Eigentlich wäre die 67-Jährige in Pension. Doch auf Wunsch des Präsidenten bleibe sie noch bis zu den Präsidentschaftswahlen im Amt, erklärte sie SRF im Interview vergangenen Herbst.
Lukaschenkos Vertrauen in die Fähigkeiten Jermoschinas sind über die Jahre gewachsen. Sie hat immer zuverlässig Resultate im Sinne des Autokraten geliefert und so wird sie auch zum Abschluss ihrer Karriere ein Resultat verkünden, das im Präsidentenpalast für Zufriedenheit sorgen wird.
Die Methoden Jermoschinas und ihren Helfern kommen in diesem Jahr aber an Grenzen: Denn auch wenn die Präsidentschaftswahlen erstmals seit 2001 ohne OSZE-Beobachter stattfinden, ist die Beweislast für massive Wahlfälschung Stunden vor Schliessung der Wahllokale erdrückend. Das Ergebnis zurechtzubiegen dürfte schwieriger sein als früher.
Land im Widerstandsmodus
Nie zuvor war die Unterstützung für die Opposition so gross wie nun. Kandidatin Swetlana Tichanowskaja vermag mit ihrer Forderung nach freien und fairen Wahlen zu vereinen, wie kein anderer Oppositionskandidat zuvor.
Die 37-Jährige verwirklicht den Wunsch ihres Mannes, der zu jenen Oppositionellen gehört, die unter fadenscheinigen Gründen nicht zur Wahl zugelassen wurden.
Wie sie scheinen sich viele Weissrussinnen und Weissrussen nicht länger davor zu fürchten, ihre Meinung zu sagen. So drückten am Wahltag vor der weissrussischen Botschaft in Moskau Hunderte Menschen ihren Unmut über das Regime Lukaschenko aus.
Es wird Blut fliessen – da bin ich mir sicher. Aber einen anderen Ausweg sehe ich nicht.
«Es ist uns klar, dass die Wahlen auch in diesem Jahr gefälscht werden. 60 Prozent aller Stimmen wird Lukaschenko sich selbst zuschreiben», ist Alexandra überzeugt. Sie hat zum ersten Mal an Wahlen teilnehmen können. Hoffnungen auf einen demokratischen Machtwechsel macht sie sich keine: «Es wird Blut fliessen – da bin ich mir sicher. Aber einen anderen Ausweg sehe ich nicht.»
Angst vor einer Welle der Repression scheinen viele zu haben. Auch eine 29-jährige Wählerin aus der Region Witebsk: «Ich mache mir Sorgen um meine Eltern. Es ist nicht klar, ob nicht auch auf sie an ihrem Arbeitsplatz Druck ausgeübt werden könnte und viele friedliche Bürger werden zurzeit unterdrückt.»
Fälschen mithilfe von Corona
Lukaschenko inszeniert sich gerne als fürsorglicher Landesvater, aber die Menschen fühlen sich seit Jahren im Stich gelassen. In den vergangenen Monaten hat sich dieses Gefühl noch verstärkt, als Lukaschenko mit absurden Aussagen für Schlagzeilen sorgte, statt sich um die Versorgung der Bevölkerung zu kümmern.
Mit dem Coronavirus versuchten die Behörden sich das Fälschen des Wahlergebnisses einfach zu machen. So wurde das Virus nicht nur als Vorwand genutzt, um keine ausländischen Journalisten ins Land zu lassen, sondern auch um unabhängige Wahlbeobachter aus der Bevölkerung von den Urnen fernzuhalten. Die Opposition hat Proteste nach Bekanntgabe des Ergebnisses angekündigt. Ob diese friedlich bleiben, scheint vor allem von der Reaktion der Behörden abzuhängen.