An der dreieinhalbstündigen «Grand Débat» im französischen Fernsehen traten die fünf aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten erstmals gegeneinander an: Marine Le Pen vom rechtsnationalen Front National, der parteiunabhängige Emmanuel Macron, der konservative François Fillon, der Sozialist Benoît Hamon sowie der Linke Jean-Luc Mélenchon.Einschätzungen zur Marathon-Debatte von Korrespondent Charles Liebherr.
SRF News: Welcher Eindruck bleibt von der Debatte zurück?
Charles Liebherr: Dieses Fernsehformat macht eigentlich eine Debatte unmöglich. So viele Themen und nur zwei Minuten Redezeit pro Kandidat führten dazu, dass die Akteure im Wesentlichen ihre Programme abspulten.
Wenige Widerrede war zu hören. Darum sah und hörte man bis tief in die Nacht hinein das, was wir bereits kennen. Die Debatte war vorhersehbar und eigentlich nur für jene aufschlussreich, die sehr interessiert an der aktuellen Politik in Frankreich sind, und das ist sicher nicht die Mehrheit.
Bei welchen Themen flogen die Fetzen?
Beim Thema Einwanderung und Europa wurde am leidenschaftlichsten widersprochen und auch angeklagt. Dabei punkteten Marine Le Pen und Emmanuel Macron gegenüber den anderen Kandidaten mit ihren absolut gegensätzlichen Meinungen. Da war etwas Feuer und Debattierlust zu spüren. Ansonsten dominierte eher das Ritual, es war kein Forum, in dem politischen Lösungen debattiert werden.
Nur bei den Themen Einwanderung und Europa war etwas Feuer und Debattierlust zu spüren.
Überzeugten Le Pen und Macron generell am meisten?
Diese beiden Favoriten lagen klar vorn. Zu erwähnen ist aber vor allem auch der linke Aussenseiter Mélenchon. Er ist unbestritten der beste Rhetoriker und hat einmal mehr brilliert. In Bezug auf die Form natürlich, denn inhaltlich sind seine Positionen weniger mehrheitsfähig.
Hat die Debatte an den Favoritenrollen etwas geändert?
Nein. Marine Le Pen bleibt die Frau, die es im ersten Wahlgang zu schlagen gilt. Macron ist weiterhin der aussichtsreichste Kandidat, es mit ihr aufnehmen zu können.
Liess sich Fillon vom grossen Druck etwas anmerken?
Eigentlich gar nicht. Man sah jenen François Fillon, wie man ihn bei den Vorwahlen der Rechten kennengelernt hatte. Er blieb ruhig und auch emotionslos. Es lässt die Kritik an sich abprallen. Darin ist er meisterhaft. In diesem Sinn hat er seine Sache wirklich gut gemacht. Die Stimmung bei den Wählern ist aber weitgehend gemacht. Er hat ein grosses Glaubwürdigkeitsproblem wegen seiner Justizaffären.
Brachte die Debatte einen Monat vor den Wahlen mehr Klarheit?
Nein. Die Fernsehdebatte war keine grosse Hilfe für jene, welche die Programme kennenlernen wollten. Denn diese sind viel detaillierter und differenzierter. Insofern war die TV-Debatte eher ein Spektakel als eine Hilfe für die Meinungsbildung.
Das Gespräch führte Tina Herren.