- Die palästinensische Autonomiebehörde im Westjordanland steht vor dem wirtschaftlichen Kollaps. Das befürchtet die Weltbank.
- Wegen einem Steuerstreit mit Israel fehlt ihr das Geld, um ihre Angestellten in der öffentlichen Verwaltung zu bezahlen.
- Das hat Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaftslage im Westjordanland.
Das Café Zamn beim Rathaus in Ramallah ist an diesem Mittag nur halbvoll. Kein Wunder, findet der 27-jährige Grafiker Aktham, der mit Kollegen Tee trinkt. «Wenn die Mehrheit der Angestellten nur noch den halben Lohn erhält, spüren wir das alle», sagt er.
Krise durch Steuerstreit
Die Wirtschaftslage sei hier eh schon schwierig, aber jetzt sei sie unerträglich. Viele könnten nicht einmal mehr ihre Wasser- und Stromrechnungen bezahlen. Auf kurz oder lang schwappe die Krise auf alle über.
Der Grund für die Krise ist ein Steuerstreit: Auf die Einkommen von Palästinensern aus der West Bank erhebt Israel Steuern, wenn ihr Arbeitsplatz in Israel ist. Ebenso erhebt Israel Zollgebühren auf Importe in die Westbank. Laut einem Abkommen von 1994 – dem Pariser Protokoll – muss Israel der Palästinensischen Autonomiebehörde diese Steuer- und Zolleinnahmen monatlich überweisen. Sie machen rund zwei Drittel ihres Haushaltsbudgets aus.
Israel zahlt nicht mehr alles zurück
Im Februar beschloss das Kabinett von Premierminister Benjamin Netanjahu, nicht mehr alle Steuern zurückzuzahlen. Seine Begründung: Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas bezahle den Familien von inhaftierten oder getöteten Terroristen zwischen 2000 und 3000 Dollar monatlich – viel mehr als arbeitende Palästinenser im Schnitt verdienten. Damit belohne und fördere Abbas den Terror gegen Israeli.
Aktham und seine Kollegen finden das eine unfaire Pauschalisierung. «Das sind nicht alles Terroristen! Manchmal wird ein Palästinenser am Checkpoint erschossen, oder er wird ohne Grund daheim verhaftet», sagt Aktham. Wenn ein Familienvater verhaftet oder getötet werde, müsse man der Familie doch helfen – was sollte sie denn sonst tun?
Risiko eines Kollaps
Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas macht keine solchen Differenzierungen. Er stellt sich auf den Standpunkt, dass er mit dem Steuergeld wohl machen dürfe, was er wolle. Als Israel ihm die geschuldeten Steuereinnahmen – abzüglich fünf Prozent zur Verhinderung von Terrorismus-Finanzierung – überweisen wollte, schickte Abbas das Geld prompt wieder zurück. Er lasse sich von Israel nicht unter Druck setzen.
Mit seiner Alles-oder-nichts-Haltung riskiert er allerdings den wirtschaftlichen Kollaps der palästinensischen Westbank. Doch niemand in Ramallah getraut sich, Abbas dafür öffentlich zu kritisieren.
«Niemand ist an einem Kollaps interessiert»
Am Springbrunnen beim Rathaus sitzen ein paar Leute an der Sonne – sie winken alle ab, auch der Platzwart. Lachend verweist er aber auf einen Mann in Anzug beim plätschernden Wasser: es ist der Bürgermeister von Ramallah, Musa Hadid, von der Fatah-Partei, wie Abbas.
Hadid ist überzeugt, dass bald eine Lösung im Steuerstreit zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde gefunden wird. «Niemand ist an einem Kollaps der relativ stabilen West Bank interessiert», sagt der Bürgermeister. Er wiederholt damit die Warnung von Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas: dass die Hamas die Krise in der West Bank ausnutzen könnte, indem sie den Palästinensern finanzielle Unterstützung zukommen lasse, um sie auf ihre Seite zu ziehen.
Abbas' Rechnung ohne Netanjahu
Eine Situation wie in Gaza, wo die Hamas die Kontrolle hat, wäre für Israel gefährlich. Das weiss Abbas – und stellt sich auf stur – in der Hoffnung, Israel werde bald einlenken und die Steuereinnahmen bedingungslos überweisen.
Er macht die Rechnung aber ohne Israels Premierminister Benjamin Netanjahu: dieser hat im Wahlkampf angekündigt, er wolle Teile der West Bank annektieren. Ein wirtschaftlicher Kollaps und allfällige Unruhen könnten ihm erst Recht den Vorwand dazu liefern.