SRF: Früher haben viele arabische Länder die palästinensische Seite jeweils lautstark unterstützt. Warum diese fehlende Unterstützung jetzt?
Guido Steinberg: Das hat vor allem zwei Gründe: Einerseits sind viele Länder und auch die dortige Bevölkerung mit anderen Problemen beschäftigt: Man muss nur an den Bürgerkrieg in Syrien oder an die sehr prekäre Lage in Libanon denken. Die Leute dort können sich nicht mit Palästina befassen. Andererseits ist es so, dass viele Regierungen der Region der Hamas nicht nur mit Misstrauen, sondern mit offener Ablehnung begegnen. Viele Regierungen haben sich in letzter Zeit gegen die Muslimbruderschaft gewandt; wie etwa diejenige in Ägypten oder Saudi-Arabien. Und die Hamas ist Bestandteil der Muslimbruderschaft.
Warum haben sich diese Regierungen von dieser Bewegung abgewandt?
Einige Regierungen sehen die Muslimbruderschaft als grosse Gefahr für ihre innenpolitische Stabilität. Das hat vor allem damit zu tun, dass die Muslimbrüder in Ägypten die Parlamentswahlen 2011/2012 und dann noch die Präsidentschaftswahlen gewonnen haben. Saudi-Arabien hat daraufhin im Juli 2013 gemeinsam mit dem ägyptischen Militär einen Putsch lanciert. Das zeigt, für wie gefährlich sie die Organisation halten.
Die Hamas konnte bis zum Putsch davon profitieren, dass die Muslimbruderschaft im Nachbarland herrschte. Danach sind ihre Versorgungstunnel von Ägypten aus weitgehend zerstört worden. Insgesamt hat die neue ägyptische Führung eine Politik gegen die Hamas geführt. Das wirkt sich auch auf das Demonstrationsverhalten der Bevölkerung aus. Die Muslimbruderschaft in Ägypten ist nicht mehr handlungsfähig, denn sie ist verboten. Sie war es, die immer die grossen Demonstrationen für die Hamas und für die Palästinenser insgesamt angeführt hat.
Hat denn diese Abkehr von der Hamas die Organisation geschwächt?
Ja, die gesamte regionale Entwicklung hat zu einer Schwächung der Hamas geführt. Ganz viele wichtige Regionalstaaten haben sich offen gegen die Muslimbruderschaft und damit auch gegen die Hamas gewandt. Die einzigen Verbündeten, die die Hamas noch hat, sind die türkische und die katarische Regierung. Wichtig für die Hamas wären die Ägypter. Da sie den Nachschub für Gaza in den letzten Monaten enorm reduziert haben, war die Hamas zu Beginn der aktuellen Kämpfe sehr schwach. Es drohte ihnen in gewisser Weise schon der Machtverlust, weil die Bevölkerung die ständig verschlechternden Lebensbedingungen nicht mehr akzeptieren wollte. In gewisser Weise hat die israelische Aktion aber nun dazu beigetragen, dass die Hamas aus einer Schwächeposition im Moment eher gestärkt hervorgeht. Denn wenn sie militärisch vorgehen kann, hat sie auch keine Probleme, sich an die Spitze des palästinensischen Volkes zu stellen.
Bisher gab es keine erfolgreichen Vermittlungen zwischen Gaza und Israel. Taugen denn diese arabischen Länder jetzt noch als Vermittler, wenn sie sich von den Hamas abgewandt haben?
Diejenigen Staaten, die in den letzten Tagen immer wieder hofiert wurden, besonders vom amerikanischen Aussenminister John Kerry, waren die Türkei und Katar, weil man davon ausgehen muss, dass sie auch einigen Einfluss auf die Führung der Hamas haben. Andere Staaten wie Ägypten, die ähnliche Vorstellungen vertreten wie beispielsweise die Europäer, sind aus dem Spiel raus. Eigentlich müsste alles in die Richtung gehen, dass die Rolle Ägyptens als Vermittler gestärkt wird. Das ist im Moment aber durch die feindselige Politik gegenüber der Hamas nicht realistisch. Damit hat sich die ägyptische Führung selbst aus dem Spiel genommen. Es ist eines der Probleme in der Diplomatie der letzten Zeit, dass die geeigneten Vermittler fehlen: also diejenigen, die sowohl Zugang zur Hamas als auch eine gewisse Nähe zu den Israelis haben. Die Türkei und Katar sind zu sehr an der Hamas orientiert, während Ägypten eigentlich die israelische Position einnimmt.
Das Interview führte Lukas Mäder.