Sonnenschein und blauer Himmel – dann plötzlich eine rote Wolke. Wie ein Tsunami rollt der Sandsturm über die flache Landschaft. Staub frisst sich in die Kleider, in die Augen, in die Haut. Doch Jane Pye scheint das nicht zu kümmern. Im offenen Allradmobil rast die Bäuerin dem Zaun entlang. Alle paar Tage muss sie kontrollieren, ob der Sand die Tröge verstopft hat, aus denen ihre Schafe trinken. Das Wasser kommt aus 600 Metern Tiefe.
«Es ist die wichtigste Wasserquelle, die wir haben», sagt die Frau. Vor hundert Jahren hatten die Vorfahren ihres Mannes Charlie Rohre in das Artesische Becken gesenkt, ein gigantisches, natürliches Wasserreservoir unter dem australischen Kontinent. «Ohne das würde meine Familie keine Landwirtschaft mehr betreiben». Denn geregnet habe es hier schon seit Jahren nicht mehr richtig.
Weiter, zur Wiese 3, wenn man den staubigen, braunen Boden so nennen will. 5000 Hektaren Land. «Hier ist es so trocken, dass keines unserer Tiere überleben können», sagt Pye. Dünne Bäume auf topfebenem Boden, wie Skelette in einem Niemandsland. Für immer mehr Bauern in Ostaustralien ist dieser Anblick Alltag. In sieben Jahren hat es im östlichen Inland des Kontinents nur ein einziges Mal ausgiebig geregnet.
Im Einzugsgebiet des naheliegenden Barwon-Flusses – die wichtigste Wasserversorgung für viele Bauern und Dörfer – ist die Situation prekär. «In guten Zeiten», erzählt der Aboriginal-Älteste Allan Thighe, sei der Fluss bis zu 14 Meter tief gewesen.
Heute sind im Flussbett zwischen den ausgebleichten Schalen toter Muscheln die Hälse weggeworfener Bierflaschen zu sehen. Sie sind vor Jahren im Schlamm stecken geblieben. «Tief war unser Fluss auch schon. Ganz trocken aber war er noch nie», sagt Tighe.
An einzelnen Orten liegen Pfützen mit verschlammtem Wasser, in denen die letzten Fische im Todeskampf nach Sauerstoff schnappen. Zum ersten Mal seit Generationen finde man an den tieferen Stellen des Flusses wieder Ockerfarbe, sagt Tighe. Der pigmentreiche, rotbraune Lehm wird von den Ureinwohnern für Felsmalereien verwendet.
«Grosse Unternehmen der Baumwoll- und Bergbauindustrien haben die Demokratie gekauft». Für Bob Brown, Ex-Senator der Grünen Partei und führender Umweltpolitiker Australiens, ist klar, wer für die schleichende Katastrophe im Murray-Darling-System verantwortlich ist. Nicht nur Klimawandel und Dürre seien an der Situation schuld, sondern «die Korruption des politischen Systems». «Die Lobbyisten sitzen im Café des Parlamentshauses und reden jeden in den Boden, der sich zu ihnen setzt».
Das Flusssystem ist die Lebensader Australiens. Doch sie ist am Ausbluten.
Diese mächtigen Wirtschaftszweige würden Politiker mittels massiver «Spendenzahlungen» dazu bringen, ihnen viel zu grosse Wasserzuteilungen zu geben – auf Kosten der Umwelt, so der 74-Jährige. Im nördlichen Bundesstaat Queensland könnten Baumwollkonzerne gigantische Mengen Wasser abzweigen, zur Bewässerung ihrer Felder nutzen und in Dämmen lagern – für schlechte Zeiten. Dadurch gelange immer weniger in die Flüsse weiter südlich, in die Umwelt. «Umweltwasser», so nennen es die Experten.
Canberra meint: Klimaextreme gehören zu Australien
Die konservative Regierung dagegen sieht die Gründe für die eskalierende Wasserknappheit in der anhaltenden Dürre, von der weite Teile des Kontinents betroffen sind.
Sie weist darauf hin, dass Klimaextreme zur australischen Umwelt gehören wie Kängurus und Koalas. Tatsächlich: seit Jahrtausenden bestimmen Trockenheit, Hitzewellen un Überschwemmungen im Wechselspiel zwischen dürren und fetten Jahren die Umwelt auf dem Kontinent.
Doch was das Land jetzt erlebe, sprenge alle Dimensionen, sagen Wissenschaftler wie die Biologieprofessorin Lesley Hughes. Immer längere Dürreperioden, kaum noch Niederschläge. Trockenheit so lange dauernd, dass mancherorts zehnjährige Kinder noch nie einen Regentropfen auf ihrer Haut gespürt haben.
Klimawandel, so der überwältigende Konsens der Wissenschaft, sei der Grund für die Verschärfung. Der eskalierende Anstieg der globalen Temperaturen sei primär die Folge der Verbrennung fossiler Rohstoffe, allen voran Kohle.
600 Kilometer Autofahrt in den Norden, nach Queensland. Tausende Schafe und kaum Menschen. Dafür jede Menge «Roadkill» – vom Zusammenprall mit einem Fahrzeug zerschmetterte Körper von Kängurus, aufgedunsen von der Hitze. Die Tiere weiden in der Nacht am Strassenrand, angelockt vom grünen Gras, wenn Tauwasser von der Strasse in den trockenen Boden sickert.
Dörfer so klein, dass man sie schnell verpasst. Trockenes Buschland im Wechsel mit dürren Rinderwiesen. In den zwei Jahrhunderten nach der Invasion des Kontinents durch britische Siedler und Sträflinge hat Australien zwar eine effiziente und gewinnbringende Agrarindustrie aufgebaut, die ihre Produkte in die ganze Welt exportiert. Doch der Erfolg hat einen hohen Preis. Ohne Rücksicht auf die Umwelt werden bis heute Wälder gerodet, werden Dämme gebaut, um Wasser zu lagern, Zuflüsse umgeleitet, in die Landwirtschaft. Unter anderem zu Scott Armstrongs Farm ausserhalb der Kleinstadt St. George im Süden von Queensland.
Ein Megaliter = eine Million Wasser
Besuch beim Erzfeind der australischen Umweltschützer – einem Baumwollbauern. Armstrong, ein stattlich gebauter Mittvierziger mit Familie, sitzt in seinem Auto und spricht über Funk mit einem Kollegen. Wasser fliesst über Kanäle vom naheliegenden Fluss auf die Felder. Seine Farm habe Lizenzen gekauft, die ihm erlaubten jährlich 1225 Megaliter Wasser abzuzweigen. Ein Megaliter sind eine Million Liter. «Jeder einzelne davon wird gezählt», sagt Armstrong und zeigt stolz auf eine Pumpe, «Made in Germany». «Das sind die zuverlässigsten der Welt».
Wie ein Schneefeld erstreckt sich Armstrongs Baumwollplantage, mehrere hundert Hektaren, die weissen Blüten sind kurz vor der Ernte. Er sei stolz, der Welt ein Produkt von Spitzenqualität liefern zu können, «denn australische Baumwolle ist die beste».
Armstrong kann die Empörung jener nicht verstehen, die ihn zum Wasserdieb stempeln. «Ich nehme schliesslich nur, wofür ich bezahlt habe». Wie viele seiner Kollegen streitet er ab, dass der Mangel an Wasser stromabwärts auch nur ansatzweise etwas mit seiner Industrie zu tun hat. «Die Dürre ist der Hauptgrund. Und die hat es schon immer gegeben. Wenn wir Bauern morgen aufhören würden, blieben die Flüsse trotzdem trocken.
Solche Aussagen tragen dazu bei, dass kaum ein anderer Zweig der australischen Landwirtschaft so umstritten ist wie die Baumwollindustrie. Der Industrieverband Cotton Australia lässt keine Gelegenheit aus, um Farmen als kleine Familienbetriebe zu portraitieren. Tatsache aber ist: grosse Anlagen werden von wohlhabenden Konsortien kontrolliert, auch ausländischen. Cubbie Station, mit 96'000 Hektaren eine der mächtigsten Baumwollfarmen der Welt gehört CS Agriculture, einem Jointventure zwischen chinesischen und japanischen Textilherstellern.
Druck auf Fliessgewässer ist gross
Kritiker klagen seit Jahren, es sei absurd, auf dem trockensten besiedelten Kontinent ein Produkt anzubauen, das im Vergleich zu anderen Nutzpflanzen deutlich mehr Wasser benötigt. Die meisten der 1200 Baumwollfarmen befänden sich in einem Gebiet mit vergleichsweise hohem Regenfall, sagt dagegen Cotton Australia.
Deshalb könne der «Grossteil des Wasserbedarfs mit Regenwasser gedeckt werden». Wenn es aber an Niederschlägen fehlt – wegen des Klimawandels inzwischen der Normalzustand – wird der Druck auf die Fliessgewässer gross. Gleichzeitig haben Unternehmen wie Cubbie Station das Recht, gigantische Mengen Wasser in Dämmen zu lagern. Selbst dann, wenn es flussabwärts fehlt.
Für den führenden Wasserwirtschafts-Wissenschafter Quentin Grafton ist diese Situation nichts anderes als ein Skandal. Denn eigentlich war 2008 die Murray-Darling Basin Authority (MDBA) ins Leben gerufen worden, um den Konflikt zwischen den grossen Wassernutzern und den Bedürfnissen der Umwelt zu regeln. Jüngste Untersuchungen werfen der Behörde aber weitreichendes Versagen vor. Sie sei «unwillig oder unfähig, rechtswirksam zu handeln», so ein Fazit. Politik beeinflusse ihre Arbeit, nicht die Wissenschaft.
Die Behörde habe weggesehen, als Bauern illegal Umweltwasser abpumpten. Agrarunternehmen hätten viel zu grosszügige Wasserrechte erhalten. Zudem habe die MDBA acht Milliarden Euro Steuergelder in den Rückkauf von Lizenzen investiert, mit dem Ziel, das Wasser in die Flüsse zu pumpen. Doch die Flüsse blieben trocken. Hunderte von Millionen Litern Umweltwasser fehlten, sagt Grafton, «mit schwerwiegenden Konsequenzen für das System, jetzt und in Zukunft».
Recherchen des australischen Fernsehens haben mehrfach die engen Verflechtungen zwischen nationalen und regionalen Politikern und der Bewässerungsindustrie aufgedeckt. Insbesondere der frühere Landwirtschaftsminister Barnaby Joyce machte aus seiner Position nie einen Hehl. Statt es in die Flüsse fliessen zu lassen, solle Umweltwasser genutzt werden, «um Futtergras für Rinder» anzubauen.
Für Jane Pye geht ein langer Tag im Staub zu Ende. Sie schliesst das Tor der letzten Schafweide. Sie freue sich auf die Dusche, sagt sie, ein Luxus, von dem andere Bauern, die ihre Wasserreserven nach Litern zählen, nur träumen können.
Ihre Wasserversorgung aber sei sicher, so tief im Boden, sagt Pye, «zumindest vorerst noch». Denn weil es inzwischen fast überall an Oberflächenwasser fehlt, hat die Regierung dem indischen Rohstoffgiganten Adani erlaubt, unbegrenzt viel Wasser aus dem artesischen Becken zu pumpen. Für den Bau und Betrieb einer der grössten Kohleminen der Welt.