Blockiert eine UNO-Vetomacht im Sicherheitsrat eine Entscheidung, nimmt sich die UNO-Generalversammlung der Sache an. Das Verfahren ist neu, es existiert erst seit diesem Frühjahr. Es soll Staaten davon abhalten, ihr Veto-Recht zu gebrauchen.
Deshalb debattiert nun das formal oberste UNO-Organ mit sämtlichen 193 Mitgliedern über die russische Annexion ukrainischer Provinzen. «Illegal» nennt sie Csaba Körösi, der Präsident der Generalversammlung. Für den ukrainischen Botschafter Sergiy Kyslytsya bedrohen «Russlands schändliche Pseudoreferenden in den vier Gebieten die UNO-Charta existenziell».
Verurteilung wahrscheinlich, Sanktionen nicht
Tatsächlich ist das Völkerrecht hier glasklar. Russland muss daher mit einer Verurteilung rechnen. Erst recht vor dem Hintergrund der jüngsten Attacken auf zahlreiche ukrainische Städte, die in der Debatte ebenfalls breit und emotional thematisiert werden. Kyslytsya selber sprach auch von Angriffen auf nahe Familienmitglieder.
Allerdings: Resolutionen der Generalversammlung sind zwar politisch wichtig, jedoch nicht mit Sanktionen versehen. Dennoch sind die Debatte und die absehbare Verurteilung Russland offenkundig höchst unangenehm.
Mit Verfahrenstricks versucht Moskau, das Ergebnis in seinem Sinn zu beeinflussen. Russlands Botschafter Wassily Nebenzia sprach von Zynismus und einer «Polarisierung der Generalversammlung».
Debatte dauert an, Ergebnis offen
Tatsächlich ist die UNO im Ukraine-Krieg polarisiert – doch herbeigeführt hat diesen Zustand Russland mit seinem Angriff. Sowohl der russische Versuch, eine geheime Abstimmung zu erzwingen, als auch, ohne Debatte abstimmen zu lassen, wurden deutlich abgelehnt.
Die Debatte dauert an. Abgestimmt wird wohl erst in der Nacht auf Donnerstag. Entscheidend dabei wird sein: Macht sich in Afrika, Asien oder Lateinamerika Ukraine-Müdigkeit breit? Steht immer noch die grosse Mehrheit der Staaten entschlossen hinter dem angegriffenen Land?
Es kommt also zu einem entscheidenden Stimmungstest. Er ist bedeutsam für die Ukraine und für die UNO selber. Denn am Ergebnis hängt auch ihre Glaubwürdigkeit.