Der Fernsehturm von Teheran, 435 Meter hoch, mit Drehrestaurant, ist zu einem neuen Wahrzeichen der Stadt geworden, im Hintergrund die Schneeberge der Elburs-Kette. Hier gegen Norden hin gibt sich die iranische Hauptstadt sehr modern. Wer sie mit den ausgezehrten Hauptstädten in der arabischen Nachbarschaft vergleicht, ist überrascht über die solide Infrastruktur, die vielen Schnellstrassen, die technologische Ambition, die sich darin ausdrückt – trotz Jahrzehnten des Drucks aus dem Westen.
Seit ihrer Gründung 1979 lag die Islamische Republik die meiste Zeit unter amerikanischen Sanktionen. Im letzten Mai hat US-Präsident Trump das internationale Atomabkommen einseitig gekündigt. Er will Iran zu viel weitergehenden Konzessionen zwingen. Die Sanktionen, die er verfügt hat, sind besonders hart.
Das iranische Neujahrsfest «Nouruz» fällt mit dem astronomischen Frühlingsanfang am 21. März zusammen. Auf dem berühmten Basar von Teheran ist vorher entsprechend viel Betrieb. Doch die Moral ist auf einem Tiefpunkt. Vor vierzig Jahren waren die Basarhändler eine wichtige Stütze der revolutionären Mullahs. «Die Zeiten ändern sich», sagt ein Kurzwarenhändler. Schon im letzten Juni protestierten sie mit einem Streik gegen die hohen Preise und den Kurszerfall des Rials, der iranischen Währung.
Eine Gruppe Frauen ist mit dem Bus aus Isfahan gekommen, um in Teheran Verwandte zu besuchen. Sie flanieren über den Basar und fragen sich, wie sie mit ihren schmalen Löhnen im neuen Jahr noch durchkommen sollen. In Isfahan seien die Preise aber noch unverschämter als hier in Teheran.
Imam Pasandida ist Vorbeter an einer kleinen Moschee. Er ist ins Basarviertel gekommen, um einen berühmten Ajatollah zu hören. «Es stimmt, die Menschen leiden sehr unter der Krise», sagt der Geistliche und er beklagt es. Andererseits fordert er die Iranerinnen und Iraner auf, geduldig zu sein, sie sollten die Entbehrungen auch als religiöse Prüfung verstehen. Das grosse Ziel der islamischen Revolution sei die Erlösung der Menschheit. Gleichzeitig übt Imam Pasandida auch offene Kritik an der Misswirtschaft der irdischen Eliten. Den Revolutionsführer, den 79-jährigen Ajatollah Chamenei, nimmt er von seiner Kritik aber ausdrücklich aus.
Angehörige der Sicherheitspolizei beim Balanceakt. Sie proben für eine Vorführung ihrer Geschicklichkeitskünste an der Teheraner Waffenschau. Die Islamische Republik erhält keine amerikanischen Hochtechnologiewaffen wie sämtliche ihrer Rivalen in der Region. Sie setzt auf eigene Produktionen, an der Schau werden sie vorgeführt. Die neueste Errungenschaft ist ein angeblich sehr zielgenauer Marschflugkörper, der Tel Aviv erreichen könnte.
Ihren Einfluss hat die schiitische Regionalmacht in den letzten Jahren ausgebaut. In Irak, Syrien, Libanon, Jemen und Afghanistan unterstützt Iran lokale Milizen, ist mit «Militärberatern» oder gar mit eigenen Truppen, den «Revolutionsgarden» präsent – zum Ärger Saudi-Arabiens und Israels, seiner mächtigsten Gegner in der Region, die von «Staatsterrorismus» sprechen.
An der Teheraner Waffenschau gibt es dafür Zuspruch von Besuchern. Die Islamische Republik habe es weit gebracht, lobt ein junges Ehepaar, das eigens aus der Provinz angereist ist. Es gehe um die Sicherung der Unabhängigkeit, dafür sei kein Opfer zu gross, argumentieren sie. Andere fragen sich, warum Iran Milliarden in seiner Nachbarschaft ausgibt, während die Bevölkerung zuhause leidet.
Die Tabiatbrücke für Fussgänger verbindet zwei Parks im nördlichen Teheran – über eine Strassenschlucht hinweg. Ein guter Platz für Erinnerungsfotos, wenn sich der Smog schon mal etwas verzogen hat. Manche Menschen, die wir in der Stadt treffen, geben US-Präsident Trump die Schuld an der Misere, viele aber klagen ohne Umschweife auch über Korruption und Misswirtschaft in der eigenen Führung.
Auch das strenge Sittenkorsett der Islamischen Republik wird häufig kritisiert. Denn die Stadt der Sittenwächter ist auch die Stadt der privaten Partys – trotz Alkoholverbots. Man kann an schummrigen Strassenecken Wein kaufen wie anderswo harte Drogen. In mancher Wohnung laufen hinter verschlossener Tür Satellitenprogramme mit freizügigen Shows und regimefeindlichen Botschaften. Die Sperren im Internet sind verbreitet, die Software zur Umgehung derselben ist es ebenso.
An der Revolutionsstrasse, gleich gegenüber der angesehenen Universität Teheran: Hier sind die grossen Verlage und viele Buchhändler zu Hause. Sara kommt, um Unterlagen für ihren Englischkurs zu kaufen. Sie hat Architektur studiert und träumt nur noch davon, dieses Land zu verlassen. «Sie können sich nicht vorstellen, was wir hier durchmachen», sagt sie. Der Monatseinkauf für sich und ihren Ehemann sei nun viermal so teuer wie noch vor einem halben Jahr. Aber auch das Doppelleben, das man hier ständig führen müsse, mache ihr zu schaffen.
Während der Revolution schossen die Schergen des Schahs vor der Universität auf Studierende. Vierzig Jahre später machten einige junge Frauen Schlagzeilen, die sich in der Revolutionsstrasse demonstrativ ihr Kopftuch vom Haupt zogen. Sara bewundert sie und hat doch nicht den Mut, es ihnen gleichzutun. Auf solche Taten gegen die «religiöse Sittlichkeit» stehen hohe Bussen oder Gefängnis.
Sara ist nicht allein mit ihrem Traum von einem freieren Leben im Ausland. Im Buchladen von Zeinal laufen die Sprachkurse für Englisch noch am besten. Allerdings sind auch die Papierpreise in der Krise massiv gestiegen. Das drückt noch zusätzlich den Umsatz.
In der Provinzstadt Qazvin, zwei Autostunden von Teheran entfernt, ist das Leben beschaulicher. Qazvin war im 16. Jahrhundert Hauptstadt des persischen Reichs, Teile des historischen Zentrums sind frisch renoviert, in Cafés wird Cappuccino und Café Latte mit iranischem Pistaziengebäck serviert. Die Krise ist aber auch in Qazvin angekommen – selbst in der Apotheke: Es kommt zu Engpässen, obwohl Medikamente nicht auf der amerikanischen Sanktionsliste stehen. Die Apothekerin sagt, sie bitte manchmal Reisende, dringend benötigte Pillen, die nicht durch lokal produzierte ersetzt werden können, im Handgepäck aus dem Ausland mitzubringen.
Auch an dieser Strasse im Süden Teherans ist der Umsatz eingebrochen. Alle erdenklichen Ersatzteile für Motorräder werden hier gehandelt. Einer der Händler ist Nasr, er führt sein Geschäft seit siebzehn Jahren. Eine vergleichbare Krise habe er noch nicht erlebt. Im Moment zehrten die Leute noch von ihren Ersparnissen, setzten Prioritäten bei den Ausgaben. Doch wie das weitergehen soll in diesem neuen Jahr? Die Frage macht Nasr ratlos.