Auf der Internetseite des österreichischen «Standard» liessen sich Kommentarschreiberinnen und -schreiber überaus kritisch über Herbert Kickl, den heutigen Chef der rechtsnationalen FPÖ, und andere Politiker aus.
Diese klagten wegen Verleumdung, worauf die Zeitung aufgefordert wurde, die Nutzerdaten der Kommentarschreibenden herauszugeben, damit sie identifiziert werden können. «Der Standard» weigerte sich, unterlag aber vor österreichischen Gerichten und wandte sich daher an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte EGMR.
Dort bekam er nun recht. Die Strassburger Richter sprechen in ihrem Urteil von einer Verletzung der Meinungsäusserungsfreiheit nach Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Sie stelle einen zentralen Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft dar.
Zwar erachtet auch der EGMR die Online-Kommentare gegen Kickl und Co. als diffamierend. Hingegen seien sie nicht als Hassreden oder gar als Aufrufe zu Gewalt zu werten, sondern bewegten sich noch im Rahmen zulässiger Werturteile.
Was unterliegt dem Redaktionsgeheimnis?
Die österreichische Justiz hingegen pflegt die Herausgabe von Nutzerdaten bereits einzufordern, sobald eine Verurteilung wegen Ehrverletzung und Rufschädigung nicht auszuschliessen ist. Eine sehr weite Interpretation. Ausserdem unterlägen, so die Gerichte, Nutzerdaten nicht dem Redaktionsgeheimnis. Kommentare in Internetforen einer Zeitung seien etwas völlig anderes als die Publikation von eigenen Artikeln.
Der «Standard» hingegen argumentierte, Diskussionsplattformen seien mittlerweile ein enorm wichtiges publizistisches Angebot einer Redaktion. Wer sich dort äussere, sei zu schützen, sonst würge man Debatten ab. Das Redaktionsgeheimnis müsse also auch hier gelten.
Urteil mit wichtiger Bedeutung
Weil sich genau solche Fragen aktuell in vielen Ländern und in den meisten Redaktionen stellen, kommt dem heutigen EGMR-Urteil grundsätzliche Bedeutung zu. Für den EGMR besteht grundsätzlich sehr wenig Raum für die Beschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit, erst recht nicht bei politischen Äusserungen.
Eine Ausnahme sieht er bei publizistischen Übergriffen auf die Privatsphäre von Personen. Da urteilt Strassburg streng. Das zeigte etwa das Urteil im Streit von Prinzessin Caroline von Monaco mit dem deutschen Medienhaus Axel Springer. Ansonsten stärkt jedoch der Menschenrechtsgerichtshof Medienschaffenden und Redaktionen grossmehrheitlich den Rücken – so auch jetzt im Urteil gegen Österreich.