Weder Täter noch Opfer sind deutsche Staatsbürger, keines der mutmasslichen Verbrechen fand auf deutschem Boden statt. Trotzdem stehen Anwar R. und Eyad A. seit heute in Koblenz vor Gericht wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es ist der weltweit erste Prozess gegen ehemalige syrische Funktionäre – ein Prozess mit Signalwirkung.
Dabei geht es nicht nur um die individuelle Schuld der beiden Angeklagten, sondern darum, ob Folter und Tötungen in syrischen Gefängnissen staatlich angeordnet wurden und damit System hatten. Die universelle Gerichtsbarkeit macht es möglich, diese Frage vor einem deutschen Gericht zu verhandeln.
2014 und 2018 stellten die beiden Angeklagten in Deutschland Asylanträge. Sie waren aus Syrien geflohen und zur Opposition übergelaufen. Für die deutschen Behörden jedoch kein Grund, von einer strafrechtlichen Verfolgung abzusehen.
«Historischer Schritt für die Gerechtigkeit»
Der Prozess mache vielen Opfern Hoffnung, so das europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte ECCHR, das viele Zeugen in Deutschland und in ganz Europa unterstützte und diesen Prozess erst möglich machte. Amnesty International spricht von einem «historischen Schritt für die Gerechtigkeit».
Wichtige Grundlage sind dabei tausende von Fotos eines ehemaligen syrischen Militärfotografen. Unter dem Decknamen «Ceasar» setzte er sich ins Ausland ab. Anhand der Bilder will die Bundesanwaltschaft in Koblenz beweisen, dass Foltern in syrischen Gefängnissen keine Einzelexzesse waren.
«Syrische Gefängnisse basieren auf Folter»
Derweil bestreitet der syrische Machthaber Baschar Al-Assad jegliche Verantwortung. In einem Interview mit dem Sender «Russia Today» sagte er Ende 2019, es gebe in Syrien keine systematische Folter.
«Die syrischen Gefängnisse basieren auf Folter», sagt hingegen Nouran Al-Ghamian. Sie war 2011, zu Beginn des Aufstands in Syrien, verhaftet und verschleppt worden. In jenes Gefängnis, das der Angeklagte Anwar R. führte und wo der zweite Angeklagte Eyad A. arbeitete.
Deutschland übernimmt Pionierrolle
Anwar R. muss sich für Folter und schwere sexuelle Gewalt in 4000 Fällen und für die Tötung von 58 Menschen verantworten, Eyad A. ist wegen Beihilfe in mindestens 30 Fällen angeklagt. Nouran Al-Ghamian hofft: «Endlich werden wir erleben, dass es doch ein kleines Bisschen Gerechtigkeit in dieser Welt gibt.»
Deutschland übernimmt eine Pionierrolle: Die Justiz handelt gewissermassen im allgemeinen Interesse aller (Rechts-)Staaten. Und der Prozess in Koblenz könnten einen Präzedenzfall schaffen für weitere Gerichtsverfahren.