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Wer folgt auf Mattarella? Italien wählt ein neues Staatsoberhaupt – fast alles ist möglich

Am Montag wählt Italien den neuen Präsidenten. Berlusconi sei dabei nur Drohkulisse, erklärt Experte Alessandro Campi.

Die Wahl des italienischen Präsidenten sei wie eine Papstwahl. Es gebe keine offiziellen Kandidaten, wer sich selbst ins Spiel bringe, verliere, und die Wahl ende meist mit einer Überraschung. Das sagt der Politologe Alessandro Campi von der Universität Perugia.

Der Quirinal, der Sitz des Staatspräsidenten, sei ja einst auch Papstpalast gewesen. Und für Italien gebe es irgendwie eine Verbindung vom Papst zum Präsidenten, sagt Campi: «Die Wahl eines italienischen Staatspräsidenten ist barock, italienisch eben.» Oder so ein bisschen wie in einer grossen italienischen Oper.

Mattarella will nicht mehr – Berlusconi schon

Das ist mehr als ein schöner Spruch: Als der amtierende Präsident Sergio Mattarella im Dezember zur Eröffnung der Opernsaison in der Scala in Mailand Macbeth von Verdi verfolgte, applaudierte ihm das Publikum sechs Minuten lang und rief «bis» – noch einmal. Und das Orchester intonierte die Nationalhymne.

Segio Mattarella
Legende: Präsident Sergio Mattarella bei seiner Neujahrsansprache im Quirinal am 31. Dezember 2021. Zur Enttäuschung vieler stellte er sich nicht für eine weitere Amtszeit zur Verfügung. Keystone

Doch der 80-jährige Mattarella will partout nicht noch einmal sieben Jahre anhängen. Der 85-jährige ehemalige Ministerpräsident Silvio Berlusconi hingegen will unbedingt. Zum ersten Mal seit langem haben die rechts- bis rechtsextremen Parteien eine klare Mehrheit im Wahlgremium.

«Cavaliere» als Drohkulisse

Berlusconi werde es trotzdem nicht, prophezeit Campi. Denn ausser seine Partei Forza Italia wollten die Rechten von der Lega bis zu den rechtsextremen Fratelli d'Italia Berlusconi nicht, obwohl sie sich für ihn ausgesprochen haben. Aber Berlusconi dient den Parteien rechts der Mitte als Drohkulisse, nach dem Motto: Wenn ihr nicht eine uns genehme Kandidatur unterstützt, wählen wir Berlusconi.

In den ersten drei Wahlgängen ist eine Zweidrittelmehrheit notwendig, danach nur noch die absolute Mehrheit der 1008 Wahlleute aus Abgeordneten, Senatoren und Vertretern der Regionen. Dem Rechtslager fehlen nicht viele Stimmen, um dieses Quorum im vierten Wahlgang zu erreichen. Laut Campi gibt es rund 100 Wahlleute, die sich keinem Lager eindeutig zuordnen lassen.

«Super Mario» anderweitig besetzt

Aber warum nicht der respektierte Premierminister Mario Draghi – «Super Mario» – als Staatspräsident? Er ist als Regierungschef unverzichtbar. Nur er ist Garant, dass Italien die formalen Anforderungen der EU für die 190 Milliarden Euro Corona-Hilfen aus Brüssel auch erfüllt.

Und ohne Draghi zerfällt die heterogene Regierung. Das ist längerfristig wohl auch im Sinne der Lega von Matteo Salvini. Aber zurzeit liegt sie in Umfragen nur an dritter Stelle. Also könnten weder Berlusconi noch Draghi Staatspräsident werden, stellt Campi fest. Entscheidend sei in diesem barocken Polit-Schach ohnehin nicht die Person, sondern die politische Ausrichtung einer Kandidatur.

Pera, Casini – oder Justizministerin Cartabia?

Mögliche Kandidaten gibt es zahlreiche. Einer ist der 78-jährige Marcello Pera von der Forza Italia Berlusconis, von 2001 bis 2006 Präsident der Abgeordnetenkammer. Ein anderer der 66-jährige Pier Ferdinando Casini von der Unione di Centro, damals Präsident des Senats.

Beide seien durch ihre ehemaligen Ämter qualifiziert, sagt Campi. Auch eine Frau, etwa die amtierende Justizministerin und frühere Verfassungsrichterin Marta Cartabia könnte erstmals an der Spitze des Staates stehen.

Am 24. Januar um 15 Uhr beginnt die Wahl unter Corona-Bedingungen. Das kann dauern. Sogar ohne Corona gab es schon 23 Wahlgänge. Es wird eine Oper, keine Operette. Zu viel steht für Italien und Europa auf dem Spiel, wenn die drittgrösste Volkswirtschaft der EU wählt.

Echo der Zeit, 18.01.2022, 18:00 Uhr

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