Etwa einen Kilometer ausserhalb der Stadt Goalpara im indischen Bundesstaat Assam wird gebaut. Stahlträger liegen auf Brachen, umringt von roten Mauern. Nur die Bauarbeiter haben eine Vorstellung davon, was hier entsteht. «Hier drüben kommt der Frauentrakt hin. Und dort, auf der anderen Seite, jener für die Männer», sagen sie. Sie bauen ein Gefangenenlager.
15 Gebäude werden es sein, jedes einzelne für 200 Gefangene. Für die Arbeiter sind das nur nüchterne Baupläne. Für die künftigen, rund 3000 Insassen des Lagers wird es die Hölle sein. Betroffen sind jene Menschen, die aus dem Bürgerregister ausgeschlossen wurden. 1.9 Millionen sind es an der Zahl.
Sie gelten als illegale Einwanderer aus Bangladesch, da sie nicht beweisen können, dass sie oder ihre Familie schon vor der Unabhängigkeit Bangladeschs im Jahr 1971 in Indien sesshaft waren. Die Regierungspartei hat versprochen, alle diese – in ihren Augen – illegalen Einwanderer zurück nach Bangladesch zu schicken. Doch ohne Rückübernahmeabkommen mit Bangladesch wird das nicht möglich sein. Deshalb werden zu den schon bestehenden sechs Gefangenenlagern in Assam zehn weitere gebaut.
Regierung streitet Existenz der Lager ab
Die Regierung streitet die Existenz dieser Lager jedoch vehement ab, wie es Premierminister Narendra Modi erst gerade im Dezember an einer nationalen Ansprache tat: Wer von Gefangenenlagern in Indien spreche, sei ein «Lügner, Lügner, Lügner». So ein «Lügner» dürfte dann wohl auch Saru Sheikh sein.
Der 66-jährige Bauer hat drei Jahre und acht Monate in einem solchen Gefangenenlager in Goalpara verbracht, weil er den Behörden seine indische Nationalität nicht beweisen konnte. 70 bis 100 Personen waren dort in einen Raum gepfercht, sagt Saru Sheikh heute, ein Jahr nach seiner Freilassung.
Oft habe es nicht einmal genug Platz zum Schlafen gehabt, sagt er. Saru Sheikh ist heute wieder frei, doch gingen seine ganzen Ersparnisse für den Prozess drauf. Dabei sei er in seinem Leben nie in Bangladesch gewesen, schwört er. Wie viele der 1.9 Millionen Menschen tatsächlich illegale Einwanderer sind, ist offen. Momentan sind sie aufgefordert, ihre Staatszugehörigkeit mit Familiendokumenten unter Beweis zu stellen.
Auch Sajid Ali Ahmad und dessen Eltern aus dem Dorf Kalmani in Assam müssen das tun: Sein Vater ist der Neffe eines früheren Präsidenten Indiens, Fakhruddin Ali Ahmed, der 1977 im Amt verstarb.
Unterschiedliche Schreibweise genügt
Doch auch wenn Sajid zur Familie eines früheren Staatsoberhauptes gehört, bedeutet das für die Behörden noch lange nicht, dass er und seine Eltern keine illegalen Migranten sind. Denn in den Dokumenten der Familie wurde der Name seines Grossvaters unterschiedlich geschrieben. Für die Behörden ist dies Grund genug, ihnen zu misstrauen. Ihnen droht die Internierung in ein Lager, wenn sie die Zweifel an ihrer Herkunft nicht beseitigen können.
Zweifellos hat Assam ein Bedürfnis herauszufinden, wer von den 31 Millionen Einwohnern und Einwohnerinnen legal in Indien lebt und wer nicht. Doch scheint der bürokratische Prozess etwas gar willkürlich. Dennoch ist das Innenministerium entschlossen, das Bevölkerungsregister, welches bisher nur in Assam gilt, auf ganz Indien auszuweiten. Damit würde auf einen Schlag die Staatszugehörigkeit von rund 1.3 Milliarden Menschen infrage gestellt.