Paris, Brüssel, Nizza – und jetzt Berlin: Der Terror hat Europa fest im Würgegriff. Das verändert nicht nur die Arbeit der Behörden, sondern auch das Leben der Zivilbevölkerung. Diese ist sich den Umgang mit Anschlägen nicht gewohnt – zumindest nicht in diesem Ausmass.
Das Protokoll zum Nachlesen
Im Vergleich zu den 1970er-Jahren kennt der aktuelle Terror keine konkreten politischen Ziele und bedroht zudem potenziell Jedermann. Diese Tatsache bleibt nicht folgenlos. «Menschen der westlichen Zivilisation haben nach dem Zweiten Weltkrieg mehrere Jahrzehnte Frieden, Wohlbefinden und Sicherheit gehabt. Die Ereignisse, die jetzt stattfinden, erschüttern das – und das hinterlässt tiefe Spuren in der Emotionalität der Menschen», sagt Franz Schultheis. Er ist Professor für Soziologie an der Universität St. Gallen.
Politische Kräfte spielen mit den Ängsten
Einige politische Kräfte würden diese tiefe Verunsicherung innerhalb der Bevölkerung wahrnehmen und aufgreifen – allen voran die Rechtspopulisten. Tatsächlich fordern diese in Deutschland nach dem Terrorakt in Berlin mitunter eine Totalumkehr der Flüchtlingspolitik – noch bevor die Fakten vollständig geklärt sind.
Professor Schultheis stellt aber fest, dass die verunsicherte Bevölkerung dieser Strategie verfalle. «Weil die rechte Politik die Emotionalität der Bevölkerung aufgreift. Mit diesen Ängsten weiter operiert – und sie weiter schürt. Öl ins Feuer giesst». Dadurch würden die Rechtspopulisten weiter Zulauf der Bevölkerung erfahren. Der Grund: «Die reden wenigstens Klartext».
Soziale Medien als «Kloake»
Alles zum Anschlag in Berlin
Zudem sind die Bevölkerung und die traditionellen Medien im Zuge der politischen Entwicklung mit Auswüchsen auf den Sozialen Netzwerken konfrontiert. «Die Sozialen Netzwerke erweisen sich als das, was Timothy Garton Ash vor einigen Wochen als die grösste Kloake der Menschheit genannt hat,» sagt Christoph Schwennicke. Er ist Chefredaktor von «Cicero». Gegen solche Verschwörungstheorien und bewusst gestreute Unwahrheiten sei es schwierig anzukämpfen.
An dieser Stelle ständen die Journalisten in der Verantwortung. «Die Medien müssten die Ängste und die starke Emotionalität, die in der Bevölkerung vorherrschen, ernst nehmen,» sagt Soziologe Schultheis. Darüber hinaus müssten die Medien der Bevölkerung aufzeigen, wie sich die echten Bedrohungen auf das Leben der Zivilgesellschaft tatsächlich auswirken.