20 Milliarden Dollar: Das ist der jährliche Bedarf an Spendengeldern für humanitäre Hilfe, schätzt die UNO anlässlich des Welttages für humanitäre Hilfe. Und dieser Bedarf wächst.
Wenn es darum geht, die Not von Menschen zu lindern, eilen Nichtregierungsorganisationen (NGO) zu Hilfe. Weltweit operieren schätzungsweise 400‘000 NGO. Davon haben 4000 konsultativen Status der UNO. Sie alle finanzieren sich grösstenteils über Spendengeldern – ein Milliardengeschäft.
Gütesiegel für Transparenz im Spendewesen
Angesichts der genannten Zahlen verwundert es also kaum, dass Herr und Frau Schweizer regelmässig von jungen, aufgestellten Damen und Herren vor der Migros oder am Bahnhof angegangen werden. So in der Art: «Grüezi, haben Sie ein Herz für hungernde Kinder?»
Und manch ein Herr oder eine Frau Schweizer fragt sich selber oder den Spendensammler: Wie viel von meinem Geld landet eigentlich beim hilfsbedürftigen Opfer im Flüchtlingslager?
In der Schweiz existiert ein Gütesiegel für gemeinnützige Spenden, herausgegeben durch die Stiftung Zewo. Diese achtet auf «Transparenz und Lauterkeit im Spendewesen und prüft gemeinnützige Organisationen auf den gewissenhaften Umgang mit Spendengeldern». Über 500 Schweizer Hilfswerke tragen das Zewo-Gütesiegel.
Diesen April gab eine Studie der Zewo Einblick in die Kostenstruktur der NGO. Wichtigste Erkenntnis: Rund 80 Prozent der Spendengelder fliessen in die Hilfsprojekte. Die übrigen 20 Prozent werden für «Mittelbeschaffung» und «übrige Administration» aufgewendet (vgl. Diagramm).
Generieren weitere NGO Zusatzkosten?
Erreichen tatsächlich 80 Rappen meines Spende-Frankens das Flüchtlingskind im Nordirak? Zweifel bleiben. Denn vor Ort fallen weitere Kosten an.
Es brauche logistischen Aufwand vor Ort, damit die Hilfe bei den Bedürftigen ankommt, sagt Zewo-Geschäftsleiterin Martina Ziegerer. Dieser gehöre zur Hilfeleistung dazu.
Dennoch scheint es Geldfresser in der humanitären Hilfe zu geben, welche nicht ausgewiesen werden. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) hat 2011 anlässlich der Hunger-Katastrophe in Somalia die Mechanismen der humanitären Hilfe hinterfragt und erhob schwere Vorwürfe.
Ein einziges Hilfsprojekt werde bis zu sieben Mal weiterdelegiert. Und jedes Mal verdiene eine weitere NGO mit. Konkret: Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR baut ein Flüchtlingslager. Dort sind mehrere NGO tätig – im Fall von Somalia waren es bis zu 20.
Diese NGO wiederum würden lokale Organisationen anheuern, um die eigentliche Arbeit zu erledigen. Und so weiter. Dies zehrt an den 80 Rappen meines Spende-Frankens.
Zusammenarbeit mehrerer NGO unausweichlich
«Es ist völlig klar, dass die UNO in einem riesigen Flüchtlingslager nicht die ganze Arbeit alleine machen kann», stellt Ruth Daellenbach klar. Sie ist Beraterin für Internationale Zusammenarbeit und Organisationsentwicklung. NGO übernehmen die Projekte vor Ort: Vom Zeltaufbau, über Nahrungsverteilung bis zu Bildungsangeboten.
Für diese Projekte werden wiederum Organisationen gebraucht. «Meist sind es lokale Organisationen. Sie haben das Wissen und die Kontakte vor Ort», so Daellenbach. Natürlich generieren auch diese Kosten. Denn jeder Helfer, Ausbildner oder der Kontaktmann in der lokalen Bevölkerung braucht seinen Lohn.
Von einem «unsinnigen Overhead» zu sprechen, wie der FAZ-Artikel nahelegt, greife zu kurz. Daellenbach wehrt sich auch gegen die heute weit verbreitete und etwas verknappte Rechnungsweise: Ich spende 1 Franken, wie viel erhält der somalische Flüchtling. Hilfsprojekte sind mitunter komplex, sie müssen verschiedensten lokalen Begebenheiten gerecht werden und möglichst nachhaltig sein.
Und vor der Migros sollte ich mich nächstes Mal vielleicht eher fragen: Soll ich einen Franken spenden, wovon ein Teil in die Administration der Hilfsorganisationen fliesst? Oder soll ich gar nicht helfen?